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Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Titel: Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
Autoren: David Kirk
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schaffte es kaum, den Dolch abzuwehren, als Ueno herumwirbelte und damit nach der Halslücke in seiner Rüstung stach.
    Munisai strauchelte, behindert von seinem Schwert, und eine Sekunde lang erschien es den Zuschauern sicher, dass ihm der Dolch die Gurgel aufschlitzen würde. Doch er fand wieder Halt, und dann war es nur noch eine Frage des Alters. Flugs warf er sich herum, schleuderte den General mit einem Hüftwurf zu Boden, und ehe sich Ueno wieder erheben konnte, rammte ihm Munisai das Schwert durch die Brust.
    Es war ein bewusst roher, beleidigend gemeinter Stoß. Während der General starb, starrten die beiden Männer einander in die Augen, und Munisai las im Blick des Generals deutlich, dass dieser die Botschaft verstanden hatte. Dennoch gab der alte Mann keinen Laut von sich. Aus seinem Mund schossen stumme Verwünschungen zu Munisai hinauf, während seine Kräfte schwanden. Schließlich erstarrten seine Lippen, die Augen wurden glasig, und dann regte sich Ueno nicht mehr.
    «Schändlich», sagte Munisai in das Schweigen hinein.
    Er zog das Schwert heraus, wischte das Blut von der Klinge und steckte es zurück in die Scheide. Erst jetzt lösten sich die Leibwächter von Fürst Shinmen, die sich als menschliche Schilde vor ihn geworfen hatten, als Ueno aufgesprungen war. Munisai hatte sie gut ausgebildet.
    «Er hat Euch gehasst», sagte Fürst Kanno leise. Er hatte sich nicht von der Stelle gerührt. «Ihr habt vergangenen Sommer seinen Sohn getötet, Munisai.»
    «Dann hat das sein Urteilsvermögen getrübt», entgegnete Munisai. «Was ist mit seiner Ehre? Sein Sohn ist auf gute Weise gestorben, in einem fairen Kampf. Er nicht. Wir gaben ihm die Gelegenheit zu einem ehrenvollen Tod, und … So sollte es nicht ablaufen, Fürst Kanno.»
    «Aber wie dann?», fragte der Junge. Munisai zögerte, doch dann sah er den besorgten Blick auf dem Gesicht des Kindes. Die Ernsthaftigkeit darin löste etwas in ihm aus, das er viele Jahre nicht mehr verspürt hatte, und er hob in sanftem Ton zu sprechen an.
    «Wir sind Samurai, Hoheit. Der Tod ist unser Handwerk. Wir müssen Meister darin werden, ihn unseren Gegnern zu bringen, vor allem aber müssen wir selbst jede Furcht davor verlieren. Seppuku ist hierfür die größtmögliche Probe. Ihr müsst Euch die Klinge einmal quer durch den Bauch ziehen. In seltenen Fällen vollbringt ein Mann dieses Ritual zur Gänze, wendet die Klinge und zieht sie noch einmal zurück. Doch solche Männer sind rar, denn das alles muss in vollkommener Stille geschehen. Wenn man stöhnt oder gar aufschreit, zeigt man damit, dass man Angst hat, also kein Samurai ist und auch nie einer war. Wenn man zu feige ist, überhaupt zuzustechen, oder sich wie Ueno blindlings seinen Gefühlen hingibt – umso schlimmer.»
    Er warf noch einen verächtlichen Blick auf den toten General und lenkte mit einer Kopfbewegung auch das Augenmerk des Jungen auf den abscheulichen Anblick: wie der Leichnam da verdreht im Schlamm lag, das Gesicht immer noch von Hass verzerrt, bestialisch, zerbrechlich und leer. Dann wandte sich Munisai um, und auf einen Wink von ihm brachte man Fürst Kanno einen Pinsel, Tinte und ein Stück Seide, das auf eine kleine Staffelei gespannt war.
    «Ueno hat mich gehasst?», sprach Munisai weiter. «Dann hätte er mich in seinem Todesgedicht verdammen sollen. Dieses Ritual muss würdevoll und in Ruhe vollzogen werden. Wenn man sein Todesgedicht schreibt, reinigt man sich damit von all seinen Gefühlen. Legt Eure ganze Angst, Wut oder Traurigkeit hinein, dann habt Ihr Euch ihrer entledigt und seid frei, den Akt so zu vollziehen, wie er vollzogen werden sollte.»
    «Ein Gedicht?», fragte Kanno. «Aber ich habe noch nie ein Gedicht geschrieben.»
    «Das ist nicht schwer, Hoheit», erwiderte Munisai. «Es muss kein richtiges Gedicht sein, ohne Versmaß oder Reime … Schreibt einfach auf, was Euch in den Sinn kommt.»
    Kanno dachte eine Weile darüber nach. Dann sahen alle schweigend zu, wie der Junge den Pinsel in die schwarze Tinte tunkte und langsam und sehr konzentriert zu schreiben begann.
    Kazuteru beobachtete Munisai, während der Junge schrieb. Der Heerführer hatte in seiner Gegenwart nie mehr als knappe Befehle von sich gegeben, von einer Ansprache ganz zu schweigen. Nun sah der Mann dieses Kind seltsam eindringlich an, beinahe sehnsüchtig.
    Schließlich legte der Junge den Pinsel beiseite und kniete sich wieder aufrecht hin. Munisai blickte ihm über die Schulter.
    «Ist es gut
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