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Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Titel: Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
Autoren: David Kirk
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war – in den Tod zu folgen, was ihn tief betrübte. Die letzten Jahre seines Lebens dachte er darüber nach, wie der «richtige» Lebensweg eines Samurai aussehen sollte. In bester japanischer Manier kam er dabei nicht zu letztgültigen Schlüssen, aber die Grundzüge sehen folgendermaßen aus: Ein Dasein ohne Herrn bedeutet nichts, für den Herrn zu sterben dagegen alles, und so zu leben, als wäre dieser Tod bereits vollbracht, ist der Schlüssel zu einer höheren Form von «Reinheit».
    Der Mann, der unter dem Namen Musashi Miyamoto berühmt wurde, stand dieser Weltanschauung jedoch beinahe diametral gegenüber. Die meiste Zeit seines Lebens streifte er herrenlos durchs Land, suchte nach Erleuchtung und vervollkommnete seine legendären Schwertkampfkünste. Er trieb unterwegs ebenso viele Leute zur Weißglut, wie er Menschen inspirierte. Das Zitat aus seinem Buch über Kampf- und Lebenskunst
Gorin no Sho
(
Das Buch der fünf Ringe
), das diesem Roman vorangestellt ist, bringt seine Haltung recht prägnant zum Ausdruck: Er fürchtete den Tod nicht, sehnte sich aber auch nicht danach, und war vor allem bestrebt, Meisterschaft über die Dinge und sich selbst zu erlangen.
    Es gab bei den Samurai jedoch durchaus einige allgemein geteilte Glaubenssätze, und einer der wichtigsten, auch für diesen Roman, betrifft die Vergeltung: Geschah ihm selbst oder einem Verbündeten ein Unrecht, so war es für einen Samurai schlicht unvorstellbar, sich dafür nicht in gleicher oder schlimmerer Weise zu rächen. Einer interessanten Theorie zufolge konnte das Christentum in Japan (bevor es dort 1614 verboten wurde) nicht wie in anderen von Missionaren bereisten Ländern Asiens florieren, weil die Samurai einen Gott, der Vergebung predigt, weder verstehen noch respektieren konnten.
    Kränkungen und Feindschaften waren so bedeutsam, dass sie über Generationen weitervererbt wurden. Nach der Schlacht von Sekigahara, mit der dieser Roman endet, begann der dort besiegte Mori-Clan seine jährlichen Ältestenversammlungen stets mit einer Variante der Frage: «Ist die Zeit für unsere Rache an den Tokugawa gekommen?» Über zweihundertfünfzig Jahre lang ging das so, und jedes Mal wurde die Frage verneint, bis das Shogunat schließlich erste Schwächen zeigte. Da traten die Nachfahren der damals unterlegenen Männer in Aktion und trieben die Abfolge von Ereignissen voran, die letztlich zum Sturz der Tokugawa führten.
    Allerdings führten sie damit auch das Ende der Samurai-Ära herbei: Das Japan nach den Tokugawa orientierte sich ab den 1860 er Jahren an den Demokratien des Westens, und als eine der ersten Maßnahmen wurde das Tragen von Schwertern in der Öffentlichkeit verboten. Ich finde, das illustriert trefflich das Wesen der Samurai: Sie waren zutiefst loyal, sogar um den Preis der eigenen Existenz.
    Was bedeutete es also, ein Samurai zu sein? Ein treffendes Gleichnis wäre vielleicht ein großer Stein, der jahrhundertelang inmitten einer sorgfältig geharkten Sandfläche in einem Garten liegt. Es ist immer derselbe Stein, aber die unterschiedlichsten Menschen sehen ihn aus allen möglichen Blickwinkeln in je verschiedenem Licht. All diese Menschen sterben irgendwann, willentlich oder unwillentlich. Der Stein aber bleibt.
    Es gibt jedoch einen bedeutsamen Umstand, der bei der Beschäftigung mit vergangenen Zeitaltern und verschwundenen Kasten gern übersehen wird: Welche Ideale zu welcher Zeit auch immer hochgehalten wurden – dahinter standen menschliche Wesen. Bei den Millionen Menschen, die im Laufe der Jahrhunderte dem Samuraistand angehörten, hing es von jedem Einzelnen ab, ob und in welchem Maße er bereit oder fähig war, den gesellschaftlich vorgegebenen Normen gerecht zu werden.

    Über die Kindheit und Jugend des Musashi Miyamoto besitzen wir bemerkenswert wenig gesichertes Wissen. Er wurde gegen Ende eines Jahrhunderts der Bürgerkriege geboren, aus dem – außer über Clans, Fürsten und Schlachten – kaum verlässliche schriftliche Aufzeichnungen erhalten sind, und überdies erzählte man sich im Laufe der Jahrhunderte so viele Geschichten über ihn, dass es alles andere als einfach ist, Dichtung und Wahrheit voneinander zu trennen.
    Für den Romanautor ist das zugleich ein Segen – da es ihm eine leere Leinwand liefert, auf der er die Geschichte so zeichnen kann, wie es ihm beliebt – und ein Fluch: weshalb dieses kleine Nachwort nun bekenntnishafte Züge annimmt. Ich sage es besser gleich: Die Handlung dieses
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