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Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)

Titel: Ronin. Das Buch der Vergeltung (German Edition)
Autoren: David Kirk
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Bald kamen sie an einen Bach, der gut zehn Schritte breit und nicht einmal wadentief war. Klares, frisches Wasser strömte über ockerfarbene Steine. Sie folgten dem Wasserlauf, da es einfacher war, über feuchte Steine zu gehen, als sich durchs Unterholz zu schlagen, und allmählich beruhigte sich Hayato und verlangsamte seine Schritte. So wanderten sie schweigend eine Zeitlang dahin, der Fürst voran und der Junge in geringem Abstand hinterher.
    Bennosuke fuhr sich mit den Fingern über die Wunde in seiner Kopfhaut. Ein dumpfer Schmerz. Er schöpfte einige Handvoll Wasser aus dem Bach und ließ es sich über den Schädel laufen. Das sollte ihm helfen, wieder einen klaren Kopf zu bekommen, und er wollte sich auch das Blut aus dem Gesicht waschen.
    Hayato blickte sich kein einziges Mal zu ihm um. Bennosuke hätte einfach im Wald verschwinden können, und der Fürst wäre mutterseelenallein zurückgeblieben. Das Wasser kühlte ihm die Stirn, und auch Herbstkühle lag schon in der Luft. Wach auf, sagte er sich, das ist nicht mehr deine Welt. Dennoch folgte er dem Fürsten weiter wie ein blutbesudelter Schlafwandler.
    Er fragte sich: Hasse ich diesen Mann wirklich genug, um ihn zu töten? Wie viel Zeit hast du eigentlich in seiner Gegenwart verbracht? Einige wenige Stunden? Nicht er ist schuld an deinem Leiden – du hast es dir selbst aufgeladen.
    Geh.
    Lass ihn.
    Sei ein Kind der Amaterasu. Gehe zurück zu Dorinbo, führe ein gutes Leben, stehe anderen bei.
    «Wie weit ist es noch?», fragte Hayato, immer noch ohne sich umzusehen.
    «Nicht mehr sehr weit, Hoheit.»
    «Ist mein Vater wirklich tot?»
    «Ja, Hoheit.»
    «Wie ist er gestorben?»
    «Er wurde auf dem Schlachtfeld eingekesselt und überwältigt, Hoheit.»
    «Wie bedauerlich.» Von der Seite sah Bennosuke ein bösartiges, triumphierendes Lächeln auf Hayatos Gesicht.
    So klein diese Regung auch war: Sie verhalf Bennosuke zu Klarheit. Etwas in ihm verhärtete sich.
    Für Hayato war der Tod etwas, das andere darbrachten, damit er seinen Nutzen daraus zog: Arima, die Männer in Aramaki, die Abertausende auf dem Schlachtfeld, sein Leibwächter, sogar sein eigener Vater. Der Tod war für ihn ein Segen, eine Annehmlichkeit, ein nützliches Mittel, das seinem Vorteil diente. Der Tod sollte nicht verherrlicht werden, aber man sollte ihn eben auch verstehen. Das tat dieser Fürst nicht und würde es auch nie. Menschen mochten ja gefangen sein in jener Leichenschicht zwischen den Himmeln und den Höllen, aber Männer wie Hayato schwebten von Geburt an darüber. Weshalb sollten sie je den Blick nach unten richten?
    Wenn er ihn ziehen ließ, wenn er verschwand, wie viele würden sich dann noch ins Nichts schleudern müssen, um die Blutgier des Nakata-Clans zu stillen?
    Hasse ihn nicht als Individuum; hasse ihn für all das, was er verkörpert.
    Sollte Bennosuke ein Kind der Vergeltung oder ein Kind der Amaterasu sein? Er sagte sich: warum nicht beides? Warum nicht die Wahl, die Amaterasu ihm gegeben hatte, dazu nutzen, seine Vergeltung zu üben, weil er als Mensch sich dazu entschieden hatte?
    So logisch es war, die Dunkelheit mit dem Feuer zu bannen, und so natürlich es war, wenn das Tauwetter im Frühjahr Flüsse und Bäche vom Eis befreit, so richtig könnte die Tat eines bewusst handelnden Wesens sein, das zum ersten Mal in seinem Leben für sich selbst dachte. Eine Handlung, so heilig, wie ein Mensch sie nur zu vollbringen vermochte. Bennosuke leckte sich die Lippen und schmeckte das getrocknete Blut darauf.
    «Ihr habt mich die ganze Zeit kein einziges Mal angesehen, Hoheit», sagte er zu Hayato, der immer noch vorausging.
    «Wovon redest du?», erwiderte der Fürst gereizt. «Was glaubst du, mit wem du sprichst?»
    «Seid Ihr ein Samurai, Hoheit?»
    Da blieb Hayato stehen, wandte sich um und sah ihn an.
    «Nein», flüsterte er. «Nein!»
    Er griff nicht nach seinem Schwert. Vielmehr fuhr er herum und rannte los. Bennosuke jagte ihm nach und trat ihm die Beine weg, sodass Hayato auf Händen und Knien im Wasser kauerte.
    «Nein …» Hayatos Stimme versagte. «Oh nein, nein, du bist doch tot, sie haben mir doch gesagt, sie haben dich umgebracht, sie haben mir doch deine Arme gezeigt, nein, nein, nein …»
    Bennosuke packte den Fürsten bei der Rüstung und drehte ihn auf den Rücken. Dann zog er sein Schwert, und Hayato zuckte erbärmlich zusammen.
    «Erinnert Ihr Euch noch, wie mein Vater gestorben ist, Hoheit?», fragte Bennosuke.
    Er begann, die dicken Bänder
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