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Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)

Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)

Titel: Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)
Autoren: Harald Martenstein
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Gemeinschaftsautos mitnehmen. Nach der Arbeit, fünf oder sechs Stunden, lag man bis tief in die Nacht am Swimmingpool, spielte Songs von Cat Stevens auf der Gitarre und versuchte anzubändeln. Mit zwei verbundenen, geschwollenen Händen war sowohl das eine als auch das andere gar nicht so einfach.
    Vor allem die jüngeren Kibbuzleute erzählten gern Witze und feierten oft Feste. So also sah der Sozialismus aus – Sonne, Highlife, fast wie in Kuba, nur mit neuen Autos. Trotzdem hatten wir zu den Kibbuzleuten wenig Kontakt. Wir waren für sie billige Arbeitskräfte, und sie waren für uns ebenfalls ein Mittel zum Zweck. Bei den Festen tranken die Kibbuzleute fast keinen Alkohol. Ein paar von den Freiwilligen, die aus allen möglichen Ländern kamen, ließen sich volllaufen. Vor allem die Engländer natürlich. Die Deutschen und die Engländer im Kibbuz mochten einander überhaupt nicht. Die Deutschen waren auf dem Büßertrip, die Engländer dagegen waren gut drauf und hatten es einzig und allein auf Bier und Israelinnen abgesehen.
    Man konnte abends auch ins Kaffeehaus gehen. Getränke, Kuchen, Kekse, Zeitungen, das war alles gratis. Wer morgens keine Lust hatte zu arbeiten, sagte: »Ich bin krank.« Das war okay. Es wurde nie kontrolliert. Die Engländer waren praktisch immer krank.
    War es schön damals? Das ist eine typische Erwachsenenfrage. Wenn man mit zwanzig von zu Hause weggeht, will man es nicht unbedingt schön haben. Es soll anders sein. Und das war es ja auch.
    Eines weiß ich noch. Es gab in Tel Yosef ein Genie. Eine Art Erfinder. Er hatte ein revolutionäres Haus erfunden. Es funktionierte so: Man blies einen sehr großen Luftballon auf. Dann wurde Beton auf den Luftballon draufgeklatscht. Sobald der Beton fest war, ließ man die Luft aus dem Ballon heraus, eine Art Iglu war entstanden. Die Häuser sahen aus wie die Bunker, die der stalinistische Diktator Enver Hodscha in seinem Cäsarenwahnsinn überall in Albanien hat bauen lassen, aber sie standen da wie eine Eins und waren in der Herstellung sagenhaftbillig. Der Erfinder erklärte allen, seine Idee werde früher oder später die ganze Welt erobern. Häuser, die jeder Arbeiter sich leisten kann, in China, in Afrika, überall.
    Die Wende kam auch in Israel um 1990 herum, zur gleichen Zeit wie in Osteuropa. Die Kibbuzim waren überschuldet. Sie hatten, wie die DDR, über ihre Verhältnisse gelebt. In den 70er Jahren kauften sie jede Menge Autos und Fernseher auf Pump oder bauten um die Wette Swimmingpools, in den 80ern brachen sie dann unter den steigenden Zinsen allmählich zusammen. Viele mussten Land verkaufen, um die Zinsen bezahlen zu können. Dadurch wurde die Landwirtschaft noch unrentabler. Der Zusammenbruch der Sowjetunion spülte eine Welle antikommunistischer Einwanderer ins Land, die über die Kibbuz-Utopisten nur lachen konnten. Vor vielen Jahren war die Idee des Sozialismus aus Russland gekommen, und nun kamen aus der gleichen Gegend ihre größten Verächter.
    Ein Kibbuz nach dem anderen führt seitdem ein gestaffeltes Lohnsystem und die Arbeitsteilung ein. Sie steigen von Landwirtschaft auf Kleinindustrie oder Tourismus um, eröffnen Shoppingcenter, beschäftigen bezahlte Manager und ausländische Gastarbeiter, streichen Sozialleistungen, schließen die Kinderhäuser. Statt der Generalversammlung aller Mitglieder gibt es ein gewähltes Dorfparlament. Etliche Kibbuzmitglieder suchen sich gutbezahlte Jobs in der Stadt. Die Jugend haut ab.
    In Tel Yosef bieten sie den jungen Leuten das Bauland fast gratis an. Es nützt nicht viel. Die Jungen leben lieber teuer in Tel Aviv als billig in Tel Yosef. Sie leben lieber in einer Weltstadt mit vielen Terroranschlägen als in einem relativ sicheren Dorf mit Kühen.
    Nur in ein paar Kibbuzdörfern gilt immer noch das Prinzip: Gleicher Lohn für alle. Ein Gedi am Toten Meer gehört dazu, zu den letzten. Weil sie in Ein Gedi viel Geld haben. Schon vor Jahren haben sie ganz auf Tourismus gesetzt und ein Guesthouse gebaut, das gut läuft. Der Kibbuz betreibt ein eigenes Thermalbad und surft auf der Wellness-Modewelle. Aber sogar in Ein Gedi schaffen sie jetzt den Einheitslohn ab und verwandeln den Kibbuz in eine Kapitalgesellschaft.
    Auch das letzte sozialistische Modell geht unwiderruflich den Bach runter. Es verschwindet leise und unauffällig. Ob dieses Ende die Beteiligten traumatisiert, so, wie es bei vielen in Osteuropa gewesen ist? Wahrscheinlich nicht. Israel hat so viele andere Probleme –
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