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Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)

Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)

Titel: Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)
Autoren: Harald Martenstein
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schlägt schnell in Feindschaft um. Die Menschen waren fremdenfeindlich nicht etwa, weil sie böse oder aggressiv waren. Sie waren es teils aus Erfahrung, teils, weil eine innere Stimme sie warnte. Fremde, vor allem Fremde, die in größerer Zahl auftauchten, bedeuteten meistens Gefahr. Es waren fremde Heere, fremde Siedler, Missionare eines fremden Glaubens. Fast jeder wollte den Einheimischen etwas wegnehmen – das Land, die Freiheit, den Glauben. Harmlos schien eigentlich nur der Händler zu sein, aber auch da konnte man sich irren.
    Erst, als der Händler zum Herrscher der Welt wurde und das Gesetz die Schwachen vor den Starken schützte, änderten sich die Dinge. Man sah den Fremden mit neuen Augen an. Plötzlich war er Arbeitskraft oder Kunde.
    Einiges spricht dafür, dass es in der Evolution eine Prämie für die Misstrauischen, Fremdenfeindlichen gab. Vertrauen, Freundlichkeit, Offenheit, dies alles ist ziemlich lange lebensgefährlich gewesen und ist es zum Teil heute noch. Andererseits gab es auch eine Prämie für Neugierde. Je intelligenter ein Lebewesen ist, desto stärker ist es am Neuen interessiert und desto leichter lernt es. Kleine Kinder laufen vor Fremden weg, verstecken sich hinter den Eltern, aber schauen sich die Fremden mit großen Augen genau an.
    Dieser Zwiespalt macht offenbar unsere Gattung aus, immer schwankt sie zwischen der Angst vor dem Fremden und der Faszination durch das Fremde.
    Der Philosoph Jean Baudrillard schreibt in »Die Transparenz des Bösen« über das heutige Verhältnis zum Fremden: »Wir« – damit meint er die aufgeklärten Europäer von heute – »können nichts Böses mehr sagen. Wir können nur mehr den Diskurs der Menschenrechte anstimmen – fromme Werte, die auf dem aufklärerischen Glauben an die natürliche Attraktion des Guten beruhen. Die Menschenrechte sind die einzige gegenwärtig verfügbare Ideologie.«
    Unser Humanismus, auf den wir so stolz sind, wäre also nur eine Ideologie? Eine Idee, die man sich von der Welt macht, weil sie einem gerade gut in den Kram passt?
    Bekanntlich stehen wir, die liberalen Europäer, an unseren Grenzen und weisen die mutigen, eigenverantwortlichen Heerscharen aus Afrika und Asien, die wahren Helden der Marktwirtschaft, streng zurück. Im Extremfall darf von der Schusswaffe Gebrauch gemacht werden. Im Grunde tun wir das Gleiche wie unsere Vorfahren, wenn sie sich mit der Keule vor ihre Höhle stellten, um das erlegte Mammut gegen den Nachbarclan zu verteidigen. Oder wie die Inkas, als sie sich gegen die spanischen Eindringlinge verteidigt haben. Wenn unser Humanismus wirklich mehr wäre als eine Ideologie, wenn wir echte nächstenliebende Christen im Geiste des heiligen Martin wären, solidarische Sozialdemokraten oder liberale Liberale, Leute also, die an ihre eigenen Prinzipien zumindest ansatzweise glauben, dann müssten wir diese Fremden natürlich zu uns hereinlassen.
    Ich bin übrigens auch dagegen. Ich mag meinen Wohlstand wirklich gerne. Ich will nicht, dass es in Berlin so elend aussiehtwie in Kinshasa, nicht mal halb so elend soll es aussehen. Ich bin kein Ausländerfeind, aber ich will nicht, dass jeder kommen darf, der möchte.
    Wenn meine Mandanten schuldig sind, dann bin ich es auch und Sie genauso. Wir alle sind, als Wähler und Staatsbürger, für das Abriegeln unserer Grenzen mitverantwortlich, also verantwortlich für den Tod all derjenigen, die an unserer Grenze sterben. Wenn es die Grenze nicht gäbe, müssten sie sich nicht irgendwelchen Schlepperbanden ausliefern. Unsere Eigentumswohnungen wären dann allerdings bald so viel wert wie die Eigentumswohnungen in Kinshasa.
    Wir sind alle Ausländerfreunde. Wir haben keine Vorurteile. Natürlich möchten die wenigsten von uns, die Liberalen, Aufgeklärten, in einem Viertel leben, in dem es zu viele Ausländer gibt – allein schon wegen der Kinder. Wo die Schulpflicht beginnt, endet die Freundschaft. Wir lassen nicht zu, dass unsere Liberalität durch unsere Lebensumstände in Gefahr gerät.
    Die meisten meiner Mandanten haben diese Möglichkeit nicht. Wenn wir im Urlaub deutsche Touristen sehen, die auf die jeweiligen Landessitten pfeifen, zum Beispiel, indem sie nackt baden, dann denken wir: »Wie unzivilisiert und rücksichtslos. Wenn diese Landsleute Schwierigkeiten bekommen, sind sie wirklich selber schuld.« Zu Hause sagen die gleichen Leute vielleicht: »Warum sollen sich Ausländer an deutsche Sitten anpassen? Das ist doch
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