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Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)

Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)

Titel: Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)
Autoren: Harald Martenstein
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da fällt das Ende der Kibbuzbewegung kaum auf.
    Eine gewisse Trauer ist natürlich da.
    Auf dem Weg zur Bürgermeisterin sehe ich die Häuser des Erfinders. Sie stehen noch. Er selber muss tot sein inzwischen, er war ein älterer Herr damals. Hinter den Iglus beginnt der schönere Teil von Tel Yosef. Ein Tennisplatz, ein schöner Spielplatz mit einem Riesenrad für Kinder, das Basketballfeld mit Flutlicht, das Open-Air-Kino, einige Häuser, die nach bescheidenem Wohlstand aussehen.
    Die Bürgermeisterin erinnert äußerlich an Heide Simonis. Kurzes graues Haar, modische Brille, Ohrringe. Aya Schafrat hört klassische Musik aus dem Kofferradio, an der Wand hängen Drucke von Monet und Kandinsky, auf dem Boden stapeln sich Kartons. Es ist ein sehr kleines Büro. Bürgermeisterin ist nur ein Teilzeitjob. Am kommenden Sonntag feiert der Kibbuz 82-jähriges Bestehen. Die Bürgermeisterin ist erst vor ein paar Jahren hergezogen.
    »Auch Strom war damals gratis. Die Leute haben den ganzenTag das Licht brennen lassen. Als wir anfingen, Geld für den Strom zu nehmen, sank der Verbrauch innerhalb eines Monats um 50 Prozent.«
    Aya Schaffrat sagt Guido-Westerwelle-Sätze: »Wenn man den Leuten alles Geld wegnimmt, hat keiner mehr Lust, Karriere zu machen.« Aber sie sieht nicht glücklich aus dabei. Bei ihr klingt es, als ob sie sagt: »Leider müssen wir alle irgendwann sterben.«
    Sie ist eigentlich eine Linke. Sie schimpft auf die rechte Regierung. Ich frage sie: »Wann hat der Sozialismus gegen den Kapitalismus verloren, was war der entscheidende Moment?« Die Bürgermeisterin antwortet, ohne eine Sekunde zu zögern, so, als ob sie sich diese Frage täglich stellt: »Als Stalin Nachfolger von Lenin wurde.«
    Später sagt sie noch: »Wir haben das Land für die Käsefabrik zu billig verkauft. Das war der größte Fehler.«
    Eines Tages wird man vielleicht ein neues Tel Yosef bauen. Ein Dorf für den neuen Menschen. Irgendwo. Dann wird man es mit der Käsefabrik richtig machen. Vielleicht lag es wirklich nur an dieser einen Sache. Andererseits: Das Thermalbad hat in Ein Gedi den Einheitslohn auch nicht retten können.
    Und die Häuser des Erfinders? Die stehen noch. Wie eine Eins. Es scheinen Leute darin zu wohnen.
    Ich frage: »Lässt sich daraus nicht ökonomisch etwas machen?« Die Bürgermeisterin lacht. »In den Häusern ist es nicht auszuhalten. Die Hitze. Und dann, wo stellt man die Möbel hin? In einem runden Haus? Ich begreife die Leute nicht, die dort wohnen. Verrückte gibt es immer und überall.«
    Wir überlegen, wie der Erfinder hieß, aber kommen beide nicht darauf. Es ist einfach zu lange her.

Verteidigung der Ausländerfeinde
    Jeder Angeklagte, auch der unangenehmste, hat das Recht auf einen Verteidiger. Das verlangt unser demokratisches System. Ich bin in diesem Text der Pflichtverteidiger des Ausländerfeindes. Ich bin nicht sein Komplize. Ich behaupte nicht seine Unschuld. Ich versuche nur, ihn zu verstehen.
    Meine Mandanten, die Ausländerfeinde, sind keine Monster. Sie sind wie du und ich. Ich weiß, das wollen Sie nicht hören. Sie finden meine Mandanten ekelhaft. Ja, gib den Leuten ein bisschen Bildung und Wohlstand, und du machst angenehmere Zeitgenossen aus ihnen. Leider funktioniert unser Bildungssystem zurzeit ziemlich schlecht, und unser Sozialstaat wird heruntergefahren. Es heißt, die Leute sollen sich selber helfen. Eigenverantwortung. Mut zum Risiko.
    Wissen Sie, wer diese neuen Leitwerte unserer Gesellschaft perfekt verkörpert? Die Eigenverantwortung und den Mut zum Risiko? Es sind die Leute, die irgendwo in Afrika oder Asien aufbrechen in Richtung Deutschland, um hier ihr Glück zu suchen. Sie nehmen ihr Schicksal in die eigene Hand, rufen nicht nach dem Staat, ergreifen die Initiative. Sie riskieren ihr Leben in überfüllten Booten oder in Lastwagen, für eine bessere Zukunft.
    Die sogenannten Migranten sind die wahren Helden der Marktwirtschaft. Jeder von ihnen ist eine Ich-AG, sozusagen ein Mensch gewordenes FDP-Programm, mutig, ideenreich,dynamisch. Sie halten sich nicht an die Gesetze, die wir, die Starken, zu unserem eigenen Schutz gemacht haben, und sie überwinden alle Widerstände, genauso wie die frühen Kapitalisten oder die Konquistadoren.
    Ausländerfeindlichkeit ist relativ lange in fast allen Weltgegenden eine normale Sache gewesen. Die Menschen haben alles Fremde und Ungewohnte mit misstrauischen Augen betrachtet, erst recht, wenn es auf zwei Beinen daherkam. Misstrauen
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