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Röslein rot

Röslein rot

Titel: Röslein rot
Autoren: Ingrid Noll
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natürlich konnte er sich als Angestellter bei einer Baufirma die Aufträge nicht aussuchen, und das war wohl auch der Grund, daß unser eigenes kleines Haus langsam, aber sicher zu einer Art Heimatmuseum wurde.
    Anfangs war ich hingerissen. Was gibt es Netteres als ein Fachwerkhaus mit bäuerlichem Garten? Als wir das Häuschen besichtigten, blühten Phlox und Margeriten, Rittersporn und Levkojen in Eintracht mit Lauch und Petersilie. Die Besitzerin hatte den Garten bis zu ihrem Tod liebevoll gepflegt; ihre Erben zeigten kein Interesse an einer Weiterführung der Idylle, wohl aber an einem gesalzenen Preis. Nun gut, was soll ich lange jammern, mit der Blindheit von frisch Verliebten kauften wir, ohne groß zu feilschen.

    Was mein neues Hobby anging, so sollte es sich durchaus in Reinhards Traum von der heilen Welt einfügen. Bäuerlich sollte unser Haus eingerichtet sein, um sich von den Stahlrohrstühlen, Corbusier-Liegen und Büromöbeln im Bauhausstil zu unterscheiden, die seine Kollegen favorisierten. Wenn ich nicht aufgepaßt hätte, wären meine ererbten Biedermeiermöbel aus hellem Kirschholz nach und nach durch knorrige Zirbelkieferbänke, Melkschemel und Spinnräder ersetzt worden. Eines Tages brachte Reinhard vom Flohmarkt eine Wanduhr mit bemaltem Zifferblatt, deren Glas einen Sprung aufwies. Kein Problem, meinte er und öffnete den Uhrenkasten. Aber es ging nicht darum, bloß eine neue Scheibe zu kaufen, wir entdeckten mit Bedauern, daß es sich um Hinterglasmalerei handelte, die nicht zu retten war. Nicht nur das Abdeckglas, sondern das Bildchen selbst war zerbrochen. Reinhard war so betrübt, daß ich ihm einen Rettungsversuch vorschlug.
    Vom Glaser ließ ich mir ein passendes Stück Glas zurechtschneiden und mit einem Loch für die Uhrzeiger versehen. Ich beschloß, das Gemälde zu kopieren. Das Motiv - eine heitere Ruderpartie auf einem bayerischen See - war so anmutig und nett anzuschauen, daß ich nicht vorhatte, es durch ein paar naive Bauernrosen zu ersetzen.
    Ich kaufte mir Marderpinsel, Dispersions- und Ölfarben sowie Klarlack zum Sprühen. Es würde wohl nicht allzu schwer sein, das zersprungene Original unter die neue Glasplatte zu legen und sozusagen durchzupausen. Die Konturen zeichnete ich mit schwarzer Tusche, ließ sie trocknen und begann - wie man es mir im Bastelgeschäft empfohlen hatte - zuerst mit dem Zifferblatt und dann mit den Figuren im Vordergrund.
    Reinhard war anfangs skeptisch. Aber als er sah, wie leuchtend sich die Farben auf dem Glas ausnahmen, lobte und ermunterte er mich aus ehrlicher Überzeugung. Jeder Betrachter mußte zugeben, daß mir mein allererstes Stück zwar seitenverkehrt (bis auf die Zahlen), aber gar trefflich gelungen war. Noch lange hatte diese Uhr einen Ehrenplatz über der Eßecke.
    Nach diesem Anfängerglück kam ich auf den Geschmack. Es mußten ja nicht weitere Uhren sein; in unser Haus paßten auch andere Hinterglasbilder mit dörflichen Szenen.
    So hatten wir schließlich alle zur Verbauerung unseres Anwesens beigetragen: Reinhard mit Balken, ich mit Bildern, meine Schwiegermutter mit Spitzengardinen, die sie aus naturweißer Baumwolle für uns häkelte, meine Mutter mit Teddybären in Dirndlkleidern und Lederhosen.

    Um wenigstens einen Tiroler Bären loszuwerden, besuchte ich an den Weihnachtstagen meine alte Freundin Lucie. Ihr Kater Orfeo und die einjährige Eva spielten unterm Tannenbaum, es war ein bezauberndes Bild. Was den Geschmack angeht, waren die beiden auf etwa gleichem Niveau. Süße, lauwarme Milch für den Gaumen, Glöckchengebimmel fürs Ohr und rote Christbaumkugeln fürs Auge. Beide waren versessen auf das funkelnde Glas, das bald in Gestalt eines gefährlichen Scherbenhäufchens beseitigt werden mußte.
    Wie bildete sich wohl der Geschmack heraus? ging es mir durch den Kopf. Ein Kleinkind, das noch kein Museum betreten hat, strebt wie viele Vögel und Insekten nach dem Bunten, Schillernden, nach funkelndem Gold und Silber. Noch bei achtjährigen Mädchen gehören Glanzbilder mit flammenden Herzen, Vergißmeinnichtkränzen und schnäbelnden Tauben zu den größten Schätzen, die gerade noch von Adventskalendern mit Glitzerschnee übertroffen werden. Auch mir gefallen solche Dinge als heimliche sentimentale Herzenszuflucht immer noch; mit Rührung sehe ich, wie meine Tochter Lara ganz ähnliche Bildchen tauscht und hortet wie ich in ihrem Alter.
    Zu Beginn meiner Malbegeisterung benutzte ich Vorlagen aus einem Kunstband über
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