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Riven Rock

Riven Rock

Titel: Riven Rock
Autoren: T.C. Boyle
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McCormicks. Sie gehörte zu der Sorte, die einem Ärger machte, wenn man nach der Arbeit noch ein bißchen herumzog, selbst wenn’s nur für ein, zwei Gläschen war, sogar am Samstag, weil sie sich wie ein kleines Kind aufführte, wie ein Baby, das immer Angst hatte, etwas zu verpassen – aber ließ man sie selber ein bißchen kosten, trank sie gleich wie ein Brauereipferd. Aber sicher. Und um nichts in der Welt werde sie Mama und Papa und ihre frommen Brüder im Stich lassen und mit seinesgleichen um den halben Globus juckeln, und er müsse ja wohl nicht minder verrückt sein als seine Irren und Schwachsinnigen, wenn er glaubte, daß sie auch nur einen einzigen Schritt von hier weg tun würde, schließlich sei es, bei Christus und allen Heiligen, in Waverley doch schon schlimm genug. Das hatte sie ihm gesagt, immer und immer wieder. Kalifornien! Alle vier Silben hatte sie ihm ins Gesicht gespien wie die Kerne einer sauren, ungenießbaren Frucht. Eher fahr ich einmal in die Hölle und zurück.
    Etwas drehte sich in seinem Magen um, der heilige Whiskey brannte dort unten in einem Meer von Bier und versengte den harten weißen Klumpen aus Eiweiß, als wäre er Papier und finge gerade Feuer, und er fragte sich kurz, ob ihm wohl übel werden würde. Aber er kämpfte es nieder, wirbelte auf seinem Stuhl herum und rief »Bedienung!« in Richtung der Theke, ohne irgendwen speziell anzusprechen. Er sah dort nur eine verschwommene Masse, nichts weiter. »Bedienung! Noch zwei für uns hier!«
    Dr. Hamilton hatte die ersten zwei Runden gezahlt, wie ein Kumpel, wie ein Wesen aus Fleisch und Blut und ein Freund der arbeitenden Bevölkerung, da mußte es wohl halb sechs oder sechs gewesen sein, vor den Fenstern war es noch hell, obwohl man bei dem trüben Regenwetter kaum Tag und Nacht auseinanderhalten konnte. O’Kane hätte den Doktor nie als geselligen, nicht mal als fröhlichen Menschen beschrieben – dafür hatte er zu viele Sorgenfalten, war zu sehr Pedant und Wissenschaftler –, doch heute abend war der Mann beinahe beschwingt, für seine Verhältnisse jedenfalls, riß ein paar abgedroschene Witze und brachte einen Toast auf »die heilende Sonne und den lauen Zephyr Kaliforniens« aus. Bis in die Bartwurzeln strahlte er vor Stolz und Befriedigung – er würde seine Affen kriegen, und noch dazu in Kalifornien, und von nun an würde man ihn als den persönlichen Psychiater von Stanley Robert McCormick kennen, von den McCormicks aus Chicago. Selbstverständlich würde er von einem der bedeutendsten Männer seines Faches betreut werden, von Dr. Adolph Meyer, aber Dr. Meyer würde fünfeinhalbtausend Kilometer weit weg in seinem eigenen Jagdgebiet am Pathologischen Institut von New York sein – und das war ein sehr weiter Weg.
    Sie waren alle aufgestanden, um dem Doktor die Hand zu schütteln, als er ging (nach etwa einer Stunde, in der er an einem einzigen schalen Bier genuckelt hatte wie eine unverheiratete Tante, die ihren dritten Preis bei einer Blumenschau feierte), und alle hatten sich rundherum gut gefühlt. Und dann hatte Nick eine Runde Whiskey gezahlt, und O’Kane war darangegangen, die vormittägliche Besprechung für alle am Tisch zu schildern. Die Thompsons hungerten nach Einzelheiten – immerhin betraf all das auch ihr Leben und ihr Schicksal und das ihrer Familien –, deshalb beugten sie sich weit vor und füllten den Platz über dem kleinen Tisch völlig aus mit ihren massigen Köpfen, den wuchtigen Armen und den kruden Bergen ihrer Schultern. Zu dem Treffen hatte man nicht sie eingeladen, sondern nur O’Kane, denn O’Kane war Oberpfleger und Dr. Hamiltons rechte Hand, nicht sie, obgleich Nick und Pat älter als er und zudem länger am McLean Hospital waren. Keiner von beiden schien es ihm übelzunehmen – wenigstens zeigten sie es nicht –, dennoch fühlte sich O’Kane genötigt, ihnen einen möglichst lückenlosen Bericht zu geben, mit etlichen dramatischen Zwischentönen und Ausschmückungen natürlich. Er war Ire und liebte es, ein Publikum zu haben.
    Er erzählte ihnen, wie er geschwitzt hatte, um rechtzeitig dort anzukommen, wie nervös und unsicher er gewesen war, wie er über den nassen Rasen gesprintet war, in seinem Rücken das Geheul des Griechen und des Schürzenmanns, vorbei an Miss Ianuccis Schreibtisch, ohne eine Pause einzulegen – hier ließ er ihnen einen Augenblick lang Zeit für das Bild von Miss Ianucci mit ihren lasziven Beinen und ihrer ungebändigten, ausladenden
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