Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ritter und Raufbolde

Ritter und Raufbolde

Titel: Ritter und Raufbolde
Autoren: Martin Clauss
Vom Netzwerk:
entsprechend kleiner und schossen weniger weit. Auf bildlichen Darstellungen kann man die Bogenarten danach unterscheiden, bis zu welchem Punkt die Sehne gespannt wird: beim Langbogen bis zum Ohr, beim normalen oder Kurzbogen vor die Brust. Die zunehmende militärische Bedeutung schlug sich in der gesellschaftlichen Aufwertung der Waffe nieder; Pfeil und Bogen tauchen im 15. Jahrhundert in Wappen auf und werden im Rahmen englischer Schlachterfolge – etwa 1415 bei Agincourt – besungen. Dennoch blieben Pfeil und Bogen über das ganze Mittelalter eine Waffe, die Adlige im Kriegskontext mieden und lediglich zur Jagd benutzten.
    Auch die soziale Komponente der Begrifflichkeit ist wichtig. Der Terminus Infanterie ist seit dem 17. Jahrhundert belegt und von dem französischen
infanterie
und dem italienischen
i nfanteria
abgeleitet. Ausgehend von dem lateinischen Wort
infans
(das Kind) markieren sie deutlich die untergeordnete Stellung der so bezeichneten Fußkämpfer im sozialen Gefüge. Als Gegenstück dazu verweist die Kavallerie in Anlehnung an das französische
chevalerie
und
cheval
auf das Rittertum und damit die gesellschaftlich herausgehobene Stellung dieser Kämpfer. Somit schwingt bei der Benennung Infanterie ursprünglich eine abwertende Konnotation mit. Für das Mittelalter erscheint gerade die soziale Komponente als prägend, nahmen doch Fußkämpfer in der Regel einen niedrigeren sozialen Stand ein als berittene Krieger und waren also im ursprünglichen Sinne des Wortes Infanteristen. In allen anderen Ebenen erscheinen die Überschneidungen mit dem Mittelalter aber zu gering, um diesen Begriff sinnvoll übertragen zu können.
    |136| Distanzwaffe Armbrust
    Neben dem Bogen war die Armbrust die wichtigste leichte Distanzwaffe des Mittelalters. Verglichen mit dem Bogen war sie deutlich einfacher in der Handhabung und zeichnete sich besonders dadurch aus, dass man die Sehne über lange Zeit ohne Kraftaufwand unter Spannung halten und so ein Ziel anvisieren konnte. Außerdem konnte man neben Pfeilen auch Bolzen abschießen. Bekannt war die Armbrust in Lateineuropa seit dem 10. Jahrhundert; weite Verbreitung fand sie dann ab dem 12. Jahrhundert. Die grausame Effektivität dieser Waffe lässt sich etwa auch daran erkennen, dass ihr Einsatz gegen Christen auf dem zweiten Laterankonzil 1139 verboten wurde.

[ Menü ]
    |137| Unser Bild vom Krieg im Mittelalter
    A m Anfang dieses Buches (siehe S. 9) steht ein Zitat des Jan van Heelu, in dem er seine Kriegspartei, die Brabanter, mit Löwen vergleicht und verklärt. Auf dieses Lob folgt die Feststellung: „Das ist weder gelogen noch ersonnen; wie mancher Mann wohl vernommen hat: Nun höret, wie es zum Kampfe kam.“ 1
    Warum muss der Dichter eigens betonen, dass er nicht gelogen hat? Weil er genau weiß, dass im Kontext von Kriegen und Kriegserzählungen vieles ersonnen und verklärt wurde. Jede Partei versuchte, sich in möglichst hellem Licht darzustellen, ihre Taten zu rühmen und die der Gegner zu schmähen. Jedes Reden über den Krieg ist immer eine Frage der Perspektive: Die Sieger erzählen oftmals grundsätzlich andere Geschichten als die Verlierer. Die Parteilichkeit von Geschichtsschreibung wird gerade dann besonders deutlich, wenn es um dieses Thema geht. Als elementarer Einschnitt im Leben der Betroffenen und als bedeutendes Element in der Erinnerung der Nachwelt wird der Krieg nur selten nüchtern bilanziert; häufiger treffen wir auf Darstellungen, die in der ein oder anderen Weise über die grausame Wirklichkeit hinwegtäuschen oder den Ereignissen einen ganz bestimmten Sinn abgewinnen wollen: Helden sollen erschaffen, Niederlagen verarbeitet oder Siege zelebriert werden. So werden die Erfolge der Gegner kleingeschrieben, die eigenen Verluste heruntergeredet und Schuldige für das Scheitern |138| der eigenen Seite gesucht. So wird etwa aus einer Niederlage der Sachsen gegen die Normannen im Jahr 880 in der pro-sächsischen Historiographie der folgenden Jahrhunderte zunächst eine Naturkatastrophe und dann ein Sieg. Die Verlierer schreiben sich ihre Geschichte zurecht und gelangen schließlich zu einer kontrafaktischen Version der Ereignisse.
    Im Mittelalter gab es aber nicht nur eine tendenziöse Geschichtsschreibung über den Krieg; wir finden hier auch dessen gleichsam klassische und überzeitliche Begleiterscheinungen: die Lüge und die Propaganda. Auch mittelalterliche Heerführer haben in Verlautbarungen versucht, ihre Version der Ereignisse zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher