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Rita und die Zaertlichkeit der Planierraupe

Rita und die Zaertlichkeit der Planierraupe

Titel: Rita und die Zaertlichkeit der Planierraupe
Autoren: Jockel Tschiersch
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Startnummer.
    »Um drei geht’s los. W o ist’n dein Kerl?«
    »Der kommt dann schon. Der ist noch …«
    »Schon klar. V iel Erfolg.«
    »Danke.«
    Rita nahm die abgestempelte A nmeldung und die Klebefolie mit den Startnummern, stieg auf die Raupe und fuhr los, ganz langsam durch das Gewühl. Sie merkte, wie die Blicke sie verfolgten, und ein paar Kerle konnten es nicht lassen, ihr hinterherzupfeifen, als wollten sie sich für eine Frauenquote im Planierraupensport stark machen. Ewald jedoch war nirgends zu sehen.
    Nachdem sie dreimal kreuz und quer durch das Gewühl gefahren war, lenkte Rita die Fiat zu der alten Betonlandebahn des Flugplatzes. Einer Eingebung folgend fuhr sie die Betonpiste entlang, in Richtung Norden, dorthin, wo die Bahn ein paar Meter vor der Ostsee endete. Hier war kein Mensch zu sehen, aus dem Beton wuchsen kleine grüne Sträucher, die Hangare und Shelter entlang der Bahn waren verlassen, manche schienen bereits zusammenzufallen. Und dennoch war dies ein Ort ganz nach Ritas Geschmack fürs Morbide, die Einsamkeit tat ihr wohl, die Ruhe gefiel ihr tausendmal besser als das Gelärme und Gewusele drüben beim Fahrerlager, von wo noch immer die mit sächsischem Idiom geschwängerten W esternklänge herüberwaberten. Die Fiat schnurrte ohne einen Hauch von Stottern an der Piste entlang, und Rita musste für einen Moment kichern, als ihr die T extzeile wieder in den Sinn kam: »Country Road, take me home«. Eine Landstraße war die Startbahn nun wirklich nicht, und ihre alte Heimat wäre der letzte Ort gewesen, an den sie jetzt gewollt hätte. Der W ind blies ihr von der Ostsee her entgegen, von hier sah es aus, als verschwinde der Beton der Bahn direkt im Meer.
    Als sie fast am Ende der Bahn angelangt war, entdeckte sie etwa hundert Meter entfernt am Nordost-Rand des A reals einen vergammelten Bauwagen, an dem ein altes Moped lehnte.
    Rita stellte die Raupe neben dem Bauwagen ab, nahm den Koffer mit dem A kkordeon und stieg herunter.
    Ewald saß am Strand, hatte die Füße im W asser und sah stumm aufs Meer hinaus, als hätte er die Raupe nicht kommen gehört.
    »Hier, das hast du vergessen.«
    Rita legte den Koffer hinter Ewald ins Gras und setzte sich neben ihn.
    Das kleine Schweigen des W iedersehens dauerte ein paar Minuten.
    Dann hielt es Rita nicht mehr aus. Sie nahm die abgestempelte A nmeldung aus ihrer T asche.
    »Um drei geht’s los. Du kannst mitfahren.«
    »Hab kei’ Lust. Bringt doch eh nix.«
    Rita glaubte, sich verhört zu haben.
    »Um drei geht’s los.«
    Ewald schüttelte nur den Kopf wie ein bockiges Kind.
    »Spinnst du?«
    Ewald drehte zum ersten Mal, seit sie da am W asser saßen, den Kopf zu Rita und sah sie konsterniert an. Und das war genau das, was Rita jetzt nicht brauchte.
    »Pass mal auf: Du setzt auf der Stelle deinen A rsch auf diese verdammte Raupe und fährst dieses beschissene Rennen! Ich fahr doch nicht quer durch Deutschland, ruiniere mir meine Klamotten, den Porsche und meine Karriere, nur dass du jetzt sagst, du hast keine Lust! Schau, dass du augenblicklich raufkommst auf das Ding!«
    Ewald sah Rita lange an, dann nickte er fast unmerklich.
    Der W ettbewerbs-Parcours war mit einem rotweißen Band abgesperrt. Davor standen acht Planierraupen peinlich genau ausgerichtet auf der Startlinie. Rita sah, wie eine große fabrikneue Liebherr-Maschine direkt auf den Platz neben Ewald auf seiner Fiat rollte. A uf deren Fahrersitz hockte der Hüne, der Ewalds A nmeldung zur A bstemplung verholfen hatte. Der Mann winkte ihr zu, und fast im selben Moment fiel der Startschuss.
    Ewald hatte einen guten Start erwischt, aber die anderen hielten mit. Rita, die direkt an der Start-und-Ziel-Linie stand, bemerkte sofort, dass hier ein anderes fahrerisches Niveau herrschte als beim Betriebswettbewerb in Zwergers Kiesgrube. Und es war offensichtlich, dass die anderen Fahrer über Material verfügten, das um Klassen besser war als die alte Fiat-Allis, die Ewald Fricker unter dem Hintern hatte. A ber Ewald ließ sich davon nicht beirren. Er schien seine Konkurrenten gar nicht wahrzunehmen, er tanzte mit seiner Fiat durch den Kies, als schwebe er in seiner ganz eigenen W olke, als schöbe nur er ganz allein hier seinen Kieshaufen mit der Schaufel flach, als spielte keine Country-Band aus übersteuernden Lautsprechern und als gäbe es keine knapp zweitausend Zuschauer auf dem Gelände, die laut skandierend in die Hände klatschten und mit V uvuzuelas tröteten. Nicht einmal Rita
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