Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Riskante Liebe

Riskante Liebe

Titel: Riskante Liebe
Autoren: Cara Enders
Vom Netzwerk:
stank, nach Fäulnis und Mäusedreck. Über mir sah ich durch das löchrige Dach den fahlgrauen Himmel. Ich wollte mich auf den Rücken drehen und bemerkte, dass meine Hände hinter mir zusammengebunden waren. Die Erinnerung an den gestrigen Abend sickerte langsam in mein Gehirn und dann begriff ich, wo ich mich befand. Am äußeren Rand unseres Dorfes stand eine halbverfallene, schon lange nicht mehr bewohnte Hütte, die Seratta als Gefängnis für diejenigen benutzte, die gegen die Regeln verstießen. Durch die eingefallene Türöffnung, vor der morsche Aststücke und vom Dach herabgewehtes Heu hingen, drang Tageslicht. Der Helligkeit nach zu urteilen, schien die Sonne. Obwohl mir jedes einzelne meiner Glieder wehtat und ich entsetzlichen Durst verspürte, war ich froh, die Nacht hier und nicht bei den Relianten verbracht zu haben. Ein leises, schabendes Geräusch und das Tappen von Schritten hinter mir ließen mich den Kopf heben, was schlagartige einsetzende Übelkeit zur Folge hatte. Ich würgte.
    Jemand fasste mich vorsichtig an der Schulter und löste dann meine Handfesseln. Dankbar blickte ich in Zarias besorgtes Gesicht. Sie legte rasch den Finger auf ihren Mund.
    »Pssst. Niemand darf uns hören. Hier, ich habe dir zu trinken mitgebracht und ein Stück Trockenfleisch. Iss langsam und nimm kleine Schlucke.«
Ich rieb meine taub gewordenen Handgelenke, die stark zu schmerzen begannen und setzte mich vorsichtig auf. Mir war schwindelig und übel, aber ich folgte Zarias Anweisungen, trank den Becher langsam leer und kaute das zähe Fleisch, worauf das flaue Gefühl im Magen wich.
    »Zaria, wie bist du hier hereingekommen? Stehen keine Wächterinnen vor der Hütte?«
Sie lächelte traurig.
    »Doch. Ich bin durch ein Loch in der hinteren Wand gekrochen. Karoa steht draußen und tut, als habe sie mich nicht gesehen. Ich kann nicht lange bleiben, Veeria.
Es ist schon heller Vormittag und sie werden dich gleich holen kommen. Seratta hat für heute eine Jagd angekündigt …«
Entsetzt schloss ich die Augen. Ich hatte mir zwar den Tod gewünscht, aber nicht auf diese Weise. Seratta sollte nicht die Genugtuung haben, mich mit ihrem Speer abzustechen. Zaria ergriff meine Hand und flüsterte eindringlich:
    »Veeria, wenn es jemand schaffen kann, ihnen zu entkommen, dann du. Die Frauen des Dorfes sind verunsichert. Und im Gatter bei den Relianten herrscht heute Morgen eine seltsame Stimmung. Ich habe im Vorbeigehen durch den Zaun gespäht. Sie liegen nicht wie sonst reglos herum, bis sie zum Arbeiten geholt werden, sondern reden in ihrem Unterstand alle leise miteinander. Deine Worte, dein Verhalten und deine Auflehnung Seratta gegenüber haben viele nachdenklich gemacht. Gib ihnen Hoffnung …«, sie brach ab, weil draußen laut Karoas Stimme erklang.
    »Es ist an der Zeit, Veeria. Mach dich bereit. Wir holen dich jetzt ab zur Jagd.«
Zaria sprang lautlos auf, ergriff den leeren Becher und huschte durch die Lücke in der morschen, halbeingefallenen Hinterwand davon, als sich auch schon der Eingang verdunkelte. Karoa stand zusammen mit Lania vor mir und riss mich unsanft auf die Beine. Wortlos brachten sie mich zum Eingang des Dorfes, dort, wo die große Wiese lag. Beinahe alle Bewohnerinnen hatten sich am Rande der Hütten versammelt und starrten uns schweigend, mit bedrückten Gesichtern, entgegen. Der Himmel war blau, aber mit vielen kleinen grauen Wolken übersät und die Sonne, die die Farben der Wiese und der Bäume mit einem klaren Leuchten überzog, spendete keine Wärme. Unwillkürlich zog ich meinen Überwurf fester um meinen fröstelnden Körper. Kühle Luft strich über meine nackten Beine und Arme.
    Sie führten mich dahin, wo die Wiese begann. Unter meinen Fußsohlen spürte ich das feuchte, stoppelige Gras. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich Seratta und ihre Jagdgefährtinnen linkerhand am Fuße des Felsens, der sich über dem Dorf erhob, etwa fünfzig Schritte von mir entfernt, stehen. Als sie mich sahen, stießen sie ihre Speere in die Luft und ihre schrillen Schreie durchbrachen die unnatürliche Stille. Mein Blick schweifte zum gegenüberliegenden Waldrand, dort, wo Jolarias mit Steinen bedecktes Grab zu sehen war. Die Regeln besagten, wenn ein Gejagter den Saum des Waldes erreichte und einen Baumstamm berührte, bevor ihn die Jägerinnen erwischten, dann wurde er begnadigt. Bisher allerdings hatte es noch keiner geschafft, ihnen zu entkommen … Obwohl mir die Bäume mit einem Male unendlich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher