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Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr

Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr

Titel: Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr
Autoren: Hollow Skai
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Kerschowski Rio Reiser mit John Lennon. Die beiden hätten nicht nur einen ähnlichen Humor gehabt, auch ihre Solo-Karrieren seien ähnlich verlaufen – und ignoriert worden. »Nenn mir fünf Songs, die er nach der Auflösung der Beatles geschrieben hat«, forderte er mich auf. Im Fall von Rio hätte ich die Antwort gewusst.
    »Träume verwehn, wenn niemand da ist, der sie träumen will«, sang Rio Reiser auf seinem letzten Album. Die Resonanz, die ihm nach seinem Tod zuteil wurde, vor allem von jüngeren Fans, die ihn nicht als Sänger von Ton Steine Scherben, sondern als König von Deutschland kennen gelernt haben, lässt einen jedoch berechtigterweise hoffen, dass der Kampf für ein besseres Leben nicht ganz umsonst war und der Traum von einer gerechteren Gesellschaft vielleicht doch noch nicht aus ist.
    In diesem Sinne: Lasst uns ein Wunder sein!
    Hollow Skai

01 Der Traum ist aus
    Die Villa in der Karlsbader Straße im Berliner Stadtteil Schmargendorf, in der Rio Reiser im Mai 1985 ein Solo-Album seines Freundes Misha Schöneberg produzierte, war ein Fünfziger-Jahre-Traum mit südländischem Touch. Den Dachboden hatte sich der Spliff-Bassist und Nena-Produzent Manne Praeker, der hier eigentlich mit Elfie Steitz lebte, der Schwester des Scherben-Gitarristen R.P.S. Lanrue, zum Studio ausgebaut.
    Vom Wohnzimmer aus gelangte man in einen großen Garten, in dem man vor den Blicken neugieriger Nachbarn geschützt war. Der knallrote Teppichboden wies bereits ein paar Rotwein- und Brandflecken auf, und wer genau hinguckte, konnte ein paar Löcher in der Auslegeware entdecken, wie sie oft dort entstehen, wo Joints gedreht werden. Das rosafarbene, größtenteils verspiegelte Bad war mit einem Whirlpool ausgestattet, und im ganzen Haus hing ein seltsamer süßsaurer Geruch.
    Die Mitglieder von Ton Steine Scherben wohnten zu der Zeit schon länger nicht mehr alle und nicht ständig auf jenem Bauernhof in Fresenhagen, der zehn Jahre lang ihr Domizil, ihre Produktionsstätte und ihr Fluchtpunkt gewesen war. Die »Familie« war in alle Winde zerstreut, und Rio erinnerte sich später im hannoverschen Stadtmagazin Schädelspalter : »Wir hatten zwar noch Kontakt, aber es gab nicht mehr diesen Druck, zusammen leben, zusammen lieben, zusammen arbeiten zu müssen.«
    Seine von Annette Humpe (Ideal) und Gareth Jones (Depeche Mode) produzierte Solo-Single Dr. Sommer war im Jahr zuvor veröffentlicht worden und hatte bei dem Musikexpress -Rezensenten Rainer B. Jogschies schon nach zweifachem Hören »akuten Sonnenbrand« ausgelöst, doch irgendwie war alles »nur noch so, wie es ist«. Der ersehnte kommerzielle Erfolg war ausgeblieben, die Single auf dem Weg in die Charts verhungert, und durch den Niedergang der Neuen Deutschen Welle war auch die Situation unabhängiger Labels wie der Scherben-eigenen David Volksmund Produktion immer prekärer geworden. Von einem Wechsel zur Industrie erhoffte man sich die Lösung der finanziellen Probleme, die ein Weiterarbeiten schier unmöglich machten. Die Plattenfirmen CBS, WEA und das EMI-Label Musikant hatten jedoch nicht gerade mit dicken Schecks gewedelt, als die Scherben-Managerin Claudia Roth ihnen Demos von Alles Lüge , Junimond , Lass mich los und Runter zum Hafen anbot. Die einzig interessante Offerte hatte die Teldec gemacht, sie dann aber überraschend wieder zurückgezogen – angeblich aus politischen Gründen (was sich jedoch als Stuss herausstellte).
    Kein Wunder also, dass Rio Reiser eines Abends kurz vor dem Einschlafen der Gedanke befiel, solo weiterzumachen und »auf den Strich zu gehen«, wie er in seiner Autobiografie König von Deutschland schrieb: »Ich war bereit, mich einer Plattenfirma hinzugeben.« Mit Haut und Haaren diesmal und nicht mehr so halbherzig wie im Fall von Dr. Sommer .
    Auch für seinen Freund und Gitarristen Lanrue war es vorbei. Auch er hatte das Gefühl, dass die Band, die der Bewegung 2. Juni nahe gestanden, zahlreiche Hausbesetzungen initiiert, die Emanzipation der Schwulen und Frauen auf ihre Fahnen geschrieben und die Friedensbewegung ebenso unterstützt hatte wie die Grünen, dass diese schon damals legendäre Band also am Ende angelangt war und nichts mehr zu sagen hatte. Die Scherben waren seiner Meinung nach nur noch geschäftlich miteinander verbunden, und darauf hatte er »überhaupt keinen Bock«. Vor allem war ihm aber auch der Name Ton Steine Scherben, der seit 15 Jahren eng mit der unabhängigen Produktion von Musik verbunden war,
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