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Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr

Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr

Titel: Rio Reiser - Das alles und noch viel mehr
Autoren: Hollow Skai
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verdient und nicht vom Catering hätte leben müssen, um auch nach der Tour noch was in der Tasche zu haben. Und er ist noch immer ein bisschen sauer auf die »moralische Grundeinstellung« des Scherben-Publikums, das bei Bap oder Bowie ohne mit der Wimper zu zucken den verlangten Eintrittspreis berappte, bei den Scherben aber jedes Mal ein Mordstheater machte, egal, wie hoch oder wie niedrig er war.
    Als sich Ton Steine Scherben auflösten, habe Rio sich jedenfalls schon mit Annette Humpe »in der Testphase« befunden – was hätte er denn da noch »rumbetteln« sollen? Und als Rio dann auch noch solo den Erfolg hatte, nach dem sich die Scherben so gesehnt hatten, kam ihm das vor, als habe er seine Geliebte verloren. Sein Konzert mochte er sich deshalb auch nicht antun – er wollte nicht auch noch zugucken, wenn die mit einem anderen schlief.
    In einem Video-Clip zu König von Deutschland durfte er noch einmal dabei sein – als Hofnarr. Und als er mit einer HipHop-Band in Emmelsbüll eine Platte aufnahm, lud Rio sie alle ein und kochte für sie. Das sei »total nett« von ihm gewesen, erinnert sich Funky. Als er zehn Jahre später auf dem Weg nach Sylt an Fresenhagen vorbeigekommen sei, habe er sich aber nicht getraut, dort vorbeizuschauen, obwohl er sich noch immer wünschte, noch einmal mit Rio und Lanrue zusammenzuspielen – »und wenn’s nur für uns gewesen wäre«.

02 Ich will nicht werden, was mein Alter ist
    Als Rio Reiser kurz nach dem Erscheinen seines dritten Solo-Albums seinen Anrufbeantworter abhörte, stutzte er. Sein Vater hatte darauf gleich zwei Nachrichten hinterlassen, was umso ungewöhnlicher war, weil er seinen jüngsten Sohn selten anrief. Er befürchtete schon das Schlimmste, dass seine Mutter schwer erkrankt oder gestorben sei, wählte die Nummer seiner Eltern und hatte auch gleich seinen Vater am Apparat. Verstört erkundigte Rio sich, was denn vorgefallen sei, dass er so dringend zurückrufen sollte. Er habe gerade seine neue Platte gehört, erklärte Herbert Paul Möbius ihm so sachlich, wie er gemeinhin sprach, und ein Lied, 4 Wände , habe ihm richtig gut gefallen. So was müsse er mal öfter machen.
    Es war das erste Mal, dass sich sein Vater zu seiner Musik äußerte, und als Rio im Dezember 1993 das Lied von den vier Wänden im Duett mit der Komikerin Marlene Jaschke in der allerletzten Schmidt-Mitternachtsshow des NDR sang, musste er, der seine Gefühle nicht zeigen und den man nicht »einfach so« umarmen konnte, unwillkürlich weinen, weil er so gerührt war.
    »Es war süß, wie die beiden so spät versucht haben, sich anzufreunden«, erinnert sich der Gitarrist Lutz Kerschowski an eine Begegnung im Hause Möbius. »Rios Vater war stolz auf ihn«, aber eben auch ein förmlicher, hagerer Typ, ernst, korrekt und penibel, exakt und drahtig. Ein »akkurater Schlauberger«, durch und durch deutscher Ingenieur, der leidenschaftlich gern fotografierte und sich im Keller ein kleines Studio eingerichtet hatte, in dem er die selbst gefilmten Videos schneiden und kopieren konnte und das dank Rios Hilfe, der ihm die Geräte zum halben Preis vom Mutterkonzern Sony besorgte, stets auf dem neuesten technischen Stand war. Während Kerschowski mit Mutter Erika Kaffee trank, stiegen Vater und Sohn hinab in den Keller, in sein Heiligtum, das nicht jeder betreten durfte, und kommunizierten über Technik. »Das war seine Art, ihm zu sagen: Ich habe Vertrauen zu dir und zeige dir mal, was ich gerne habe.« Dass Rio seine Arbeit ebenso ordentlich machte wie er die seine, auch wenn er ganz anders lebte, hat er sehr spät, aber nicht zu spät begriffen.
    Herbert Möbius war kein Mensch, der sich gegenüber seinen Chefs durchsetzen konnte. Er hielt lieber den Mund, ärgerte sich zu Hause über sie und kündigte schließlich den Job, wenn er einen anderen gefunden hatte, der ihn finanziell besser stellte – was zur Folge hatte, dass die Familie permanent umzog und es Rio schwer fiel, dauerhafte Freundschaften zu schließen und auf die Befindlichkeiten seiner Spielkameraden einzugehen. Infolge einer Mittelohrentzündung auf einem Ohr taub, war Rios Vater mit seinen Gedanken bisweilen woanders, abwesend, und es dauerte lange, bis seine Söhne kapierten, dass hinter der Fassade des pflichtbewussten Ingenieurs ein Mensch steckte, dessen technische Erfindungen ähnlich kreativ waren wie ihre künstlerischen Prozesse. »Ab da«, sagt Rios ältester Bruder, Peter Möbius, »hatten wir ein ganz anderes
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