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Ringkampf: Roman (German Edition)

Ringkampf: Roman (German Edition)

Titel: Ringkampf: Roman (German Edition)
Autoren: Thea Dorn
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von der Nase. »Ich bin der festen Überzeugung – und in diesem Punkt werden Sie mir sicher recht geben –, ich bin der festen Überzeugung, daß wir es dem Frankfurter Publikum schuldig sind, ihm bei der Eröffnungs-Gala die wieder-oder besser, neugewonnenen technischen Möglichkeiten dieser Bühne hier vorzuführen. – Nein.« Er stieß mit der Brille in die stickige Luft. »Nein. Eine rein musikalische Aufführung des Rings über vier Abende hinweg scheint mir eine höchst unbefriedigende Lösung zu sein. Zumal, wenn man den durch und durch szenischen Charakter dieses Werkes in Anschlag bringt. Nein.«
    Er setzte das schwarze Designergestell wieder auf. »Da ich nicht sehe, daß bisher eine bessere Alternative aufgezeigt worden wäre, möchte ich auf meine Anfangs-Idee zurückkommen.« Mit einem Blick, der sich jegliche Form von Ablehnung verbat, schaute er zum Sofa. »Wir sollten den Ring als szenisches Fragment aufführen.«
    Elisabeth Raven-Winterfeld verharrte in ihrem wohltemperierten Schluchzen. Renate Krösch wiegte den Kopf. Cora Starneck zeigte keinerlei Reaktion. In ihren schwarzen Gläsern spiegelte sich das Panoramafenster.
    »Und dabei denke ich jetzt nicht nur an die Bedürfnisse unseres Publikums«, fügte Hermann Preuss beleidigt hinzu. »Ich denke vor allem, daß die Pietät dem Toten gegenüber uns diese Handlungsweise gebietet.«
    Benito Bellinis Miene war endgültig unter den Gefrierpunkt gesunken. »Herr Preuss«, fuhrer gallig dazwischen, »der Ring ist ein Ring. Und kein elendes Stückwerk. Keinesfalls werde ich nur die Hälfte oder Dreiviertel o non so che dirigieren. Sondern alles. Und damit meine ich: alles vom ersten bis zum letzten Takt. Niemand wird mich davon abhalten. Auch nicht ein Toter.«
    »Aber bester Direttore!« Hermann Preuss hob salomonisch die Hände. »Mein Vorschlag will Ihr Dirigat doch in keinster Weise beschneiden! Mir ging es erst einmal nur darum, eine Form zu finden, in der wir dem reichen szenischen Kapital, das Alexander Raven uns hinterlassen hat, die angemessene Geltung verschaffen können. Über die genaueren Modalitäten solch einer fragmentarischen Aufführung wäre selbstverständlich noch zu diskutieren.«
    Am linken Ende des Sofas gab es eine schwache Regung. Elisabeth Raven-Winterfeld setzte sich mühsam gerade. »Mein Mann hat nicht gewollt, daß seine Inszenierung aufgeführt wird«, sagte sie mit gebrochener Stimme. »Wenn Sie pietätvoll handeln wollen, dann verzichten Sie auf diese verfluchte Premiere!«
    Die Kulturdezernentin drehte sich behutsam zu ihr. »Bitte, Frau Raven-Winterfeld, verstehen Sie uns nicht falsch. Wir können ihren tiefen Schmerz nachempfinden. Aber wir dürfen uns jetzt nicht von Emotionen hinreißen lassen. Wir müssen danach streben, in dieser – für die Oper und die ganze Stadt – so wichtigen Angelegenheit eine besonnene Lösung zu erzielen.«
    »Mein Mann hat nicht gewollt, daß seine Inszenierung aufgeführt wird«, wiederholte die Sängerin bebend. Ihre Fingerzerrupften das feuchte Papiertaschentuch.
»Ich werde dafür kämpfen, daß man seinen letzten Willen respektiert.«
    »Verehrte Frau Raven!« Der Generalmanager lächelte süß-sauer. »Niemand hindert Sie daran, die genaue juristische Situation noch einmal prüfen zu lassen, aber ich bin mir doch nahezu sicher, daß sämtliche Rechte an dieser Inszenierung in den Händen der Oper Frankfurt liegen.«
    Der Sängerin entfloh ein gequälter Schluchzer. Das zerfaserte Taschentuch fiel zu Boden.
    Hermann Preuss rümpfte die Brille auf seiner Nase zurecht. »Ich denke, der von mir propagierte Vorschlag würde darauf hinauslaufen, den Ring bis einschließlich zweiten Akt Siegfried – denn dies ist ja wohl der letzte Akt, den Alexander Raven noch vollständig auf die Bühne gebracht hat –, also den Ring bis zu jener Stelle wie geplant aufzuführen. Und nach der Pause dann semi-szenisch fortzufahren. Der Schluß von Siegfried und die ganze Götterdämmerung würden unserem Publikum sozusagen als konzertante Aufführung in Kostümen – und eventuell sogar im Bühnenbild – geboten.« Er ignorierte die stärker schluchzende Frau und wandte sich an die drei stummen Personen. »Das scheint mir doch eine Lösung zu sein, mit der alle Seiten leben können. – Wie denken Sie darüber, Direttore?«
    »Machen Sie mit Ihren Kostümen, was Sie wollen«, knurrte der Maestro unleidlich. »Für mich steht nur eines fest. Ich werde den Ring dirigieren. Und zwar ganz.« Er
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