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Riemenschneider

Riemenschneider

Titel: Riemenschneider
Autoren: Tilman Röhrig
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Blick zu ihr hinauf. Eva, du ewig Schöne, dachte er und sah ihren Leib, den Schalk in ihrem Lächeln; meine Eva, nichts ist verloren gegangen.
»Großvater?« Die kleine Hand zog an seinen Fingern. »Kennst du die Frau da oben?«
Noch in Gedanken sagte Til: »Das ist deine Großmutter.«
»Wirklich?«
»Aber ja, ich kenne sie schon lange.«
Der Junge blickte angestrengt hinauf, schließlich stemmte er eine Faust in die Seite und nickte. »Heute ist die Großmutter aber viel reicher.«
Überrascht beugte sich Til zu ihm. »Wie kommst du darauf?«
»Das merkt doch jeder.« Der kleine Til zuckte mit den Schultern. »Weil doch die Großmutter heute ganz viele Kleider zum Anziehen hat.«
»So habe ich das noch gar nicht betrachtet.« Die einfache Logik verblüffte, erst nach einigen Schritten hatte der Meister das Lachen unterdrückt und konnte ebenso ernst antworten: »Aber du hast recht. Großmutter ist so reich an Gaben, dass sie uns alle glücklich macht.«
Als sie den Judenplatz verließen, wechselte der kleine Til auf die andere Seite und näherte sich dem Korb; das Steckenpferd hielt er nur mit einer Hand, die andere griff blitzschnell zu, schon war die Kirsche zwischen den Lippen verschwunden. Gleich nach dem Zerbeißen verrieten seine Augen, wie wunderbar sich die saftige Süße im Mund ausbreitete, bis er sie mit Genuss hinunterschluckte. »Großvater? Schau mal!« Tief holte er Atem und spuckte den Kern in hohem Bogen auf die Straße. »Kannst du das auch?«
»Ich … ich glaube nicht.«
»Versuch doch mal!«
»Besser nicht.«
Das Zögern spornte den Ritter an, seinen Knappen zu unterweisen. »Guck her. Ist doch ganz einfach.« Die nächste Kirsche verschwand, und gleich entfuhr der Kern dem Lippengeschütz. »Jetzt du. Bitte!«
Til nahm eine Frucht zu sich, blickte verlegen nach rechts und links, dann spuckte auch er.
Der Kleine jubelte. »Du kannst es. Du kannst es doch. Und jetzt, wer am weitesten kann.« Zugleich flogen die Kerne. Der Ritter hatte gewonnen, wollte neue Siege feiern, und sein Knappe musste mitstreiten und verlieren. Einige Hausfrauen schüttelten den Kopf, wechselten die Straßenseite. Hinter seinem Rücken hörte Til ihr Getuschel, verstand sogar: »Dieser alte Narr«, und es störte ihn nicht.
Vor dem Wolfmannsziechlein vergewisserte er sich, ob Kinn und Wangen des Ritters nicht zu verschmiert waren. »Besser, wir erzählen nicht, welche schweren Kämpfe wir durchgestanden haben. Die Frauen dürfen sich nicht ängstigen.«
Vergnügt ritt der goldlockige Recke in den Hof ein. »Mutter! Wir haben Großmutter gesehen!«
Til trat aus dem Dunkel der überdachten Einfahrt, gleich runzelte er die Brauen, er spürte, wie etwas Neues, Befremdliches ihn berührte, und verlangsamte den Schritt.
Auf der Bank neben der Haustür saßen Magdalena und Katharina mit einem schwarzlockigen Burschen zusammen. Sobald die Frauen den Meister erblickten, standen sie hastig auf.
Katharina nahm ihren Sohn an der Hand. »Mutter, wer ist das?«
»Später. Nicht jetzt, später.« Trotz seines Protestes zog sie ihn ins Haus.
Magdalena kam dem Meister entgegen, ihre Augen waren gerötet. »Bitte, Herr …« »Du hast geweint?« Seine Sorge nahm zu. »Wer ist dieser Fremde?«
»Mein Junge.« Sie atmete heftig und flüsterte: »Florian ist zurück. Ich bitte Euch, Herr, seid nicht so streng mit ihm.« Magdalena wandte sich ab und eilte mit gesenktem Kopf ins Haus.
Aus der Werkstatt tönte das rhythmische Schlagen des Klüpfels. Til stand in der Mitte des Hofes, er wartete. Als Florian auf ihn zukam, glaubte er wieder stechenden Schmerz in beiden Schultergelenken zu spüren.
»Gott zum Gruße, Herr.« Kein kühn geschwungener Lippenbart mehr, das Gesicht war glatt und gebräunt, nur kurz wagte Florian den Meister anzusehen, dann blickte er zu Boden.
»Warum kommst du her? Du hast deine schwangere Frau im Stich gelassen. Du hast deiner Mutter beinah das Herz gebrochen. Aber wir haben unser Leben wieder eingerichtet, und es ist gut so. Soll jetzt wieder alles von vorn beginnen?«
»Ich habe mich geändert, Herr.«
»Wie oft hast du diesen Satz schon gesagt? Und wie oft hast du bald danach das Vertrauen der Menschen, die dich lieben, wieder enttäuscht?«
Auch wenn seine Eva ihn um Nachsicht gebeten hatte, Til wollte, musste streng sein: »Was hast du getrieben, seitdem sich dein sauberer Hauptmann mit dir aus dem Staub gemacht hat?«
»Wir sind nach Nürnberg. Und dort haben wir gespielt. In den Wirtshäusern … Und
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