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Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz

Titel: Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz
Autoren: Heinrich Steinfest
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sich Sorgen zu machen.
    Der kleinere Polizist erklärte, daß Olander ganz sicher in Mailand sei. Er fragte: »Warum versuchen Sie, ihn zu decken?«
    Das bedeutete also, daß die Wiener Polizei zwar wußte, daß Olander nach Mailand geflogen war, allerdings unbekannt war, wo genau er sich jetzt aufhielt. Gut so, denn auf diese Polizisten war kein Verlaß. Alles, was sie herausfanden, erfuhr bald darauf jeder, den es interessierte. Europäische Polizeiorganisationen waren offene Bücher.
    »Ich decke niemanden«, sagte Lukastik. »Und jetzt bin ich müde und würde gerne schlafen.«
    »So spät ist es doch noch gar nicht«, meinte der dünne Große.
    Lukastik schloß die Augen. Dieser F-598-Sessel aus dem Jahre 1973 war wirklich bequem. Er stammte aus einer Zeit, als man noch geglaubt hatte, die Zukunft würde darin bestehen, den Mars zu kolonisieren. Statt dessen eine Welt der Handys und Personalcomputer. Wie klein, wie deprimierend. Darum war es gut, in diesem futuristisch geschwungenen Fauteuil zu sitzen und einzunicken.
    »Sie können jetzt nicht schlafen«, sagte einer von den Polizisten.
    Aber das hörte Lukastik schon nicht mehr.

21
    Als er erwachte, lag er in einer Zelle. Er konnte nicht sagen, wie er hierher gekommen war. Er konnte sich auch an keinen Traum erinnern, was selten vorkam. Mitunter standen seine Träume so überdeutlich vor ihm, daß ihm für einen Moment sein Chefinspektorenleben als Pause oder Auszeit erschien. Als ein Kammerflimmern des Bewußtseins.
    Doch ohnehin durfte er sich nur mehr sehr bedingt als Chefinspektor sehen. In erster Linie war er Untersuchungshäftling. Er stand im Verdacht, gleich zwei Doktoren das Leben genommen zu haben. Er mußte schmunzeln ob dieser obskuren Wendung. Auch weil er wußte, daß es noch schlimmer kommen würde. Schlimmer wurde es immer. Das war nun mal ein Prinzip im Leben. Wenn man sich im freien Fall befand, war es unmöglich, mitten in der Luft zu stoppen. Man mußte schon unten ankommen, bevor man sich ordnen konnte. Wenn man sich dann noch ordnen konnte.
    Er sah auf seine Uhr. Sie war stehengeblieben. Darum bevorzugte er ja mechanische Uhren, um hin und wieder das Gefühl zu haben, daß nicht alles und jedes sich fortentwickeln mußte, daß eben nicht alles dem freien Fall unterlag. Die Zeit konnte stehenbleiben, zumindest wenn man sie in ein rundes, flaches Gehäuse der Firma Certina sperrte.
    Der kleine Zeiger wies auf die Drei. Wobei Lukastik nicht einmal hätte sagen können, ob es eine Tages- oder Nachtstunde war, die in dieser goldenen Uhr festsaß. Jedenfalls beschloß er, diesen einen Punkt für ewig zu konservieren, das Uhrwerk nie wieder aufzuziehen und solcherart an seinem Handgelenk ein Fossil der Zeit mit sich zu führen. Das war ein schöner Gedanke, der ihm Ruhe und Macht vermittelte. Trotz freien Falls. Macht über manche Dinge. So eine Art Jediritter-Macht.
    Lukastik blieb noch eine ganze Weile auf dem bequemen, aber zu kurzen Bett und sah hinauf zum hellgrün bestrichenen Plafond des fensterlosen Raums, der im grellen Licht kunststoffverglaster Neonröhren einen Glanz wie von Schweiß besaß. Irgendwann ging die Türe auf, und die zwei Wiener Beamten traten ein. Sie wirkten trotz sauber gebundener Krawatten unordentlich. Der gräuliche Schimmer gewachsener Barthaarelag auf ihren Bubenwangen. Nichtsdestotrotz besaßen ihre Gesichter einen Ausdruck des Triumphs. So ein gymnasiales Grinsen.
    Lukastik wußte gleich, wieviel es geläutet hatte. Er kam den beiden Milchgesichtern zuvor und sagte: »Man hat die Waffe gefunden, nicht wahr?«
    »Das darf Sie nicht wundern, Chefinspektor«, meinte der Kleinere.
    »Und wo?«
    »Müssen wir wirklich miteinander spielen?«
    »Leider ja«, erklärte Lukastik. »Also wo?«
    »In Ihrer Wohnung. In einem Loch in der Wand. Hinter dem Bild von diesem…«
    »Wittgenstein.«
    »Ja. Wobei wir Glück hatten. Man sieht das Loch ja nicht, wenn der Tapetenstreifen so sauber und straff darübergezogen ist. Aber die Kollegen haben die Wand gründlich abgeklopft. Alle waren hochmotiviert, etwas Belastendes zu finden. Jeder scheint sich zu freuen, Ihnen etwas anhängen zu können.«
    »Anhängen? Das klingt, als würden Sie an meiner Schuld zweifeln.«
    »Sagen wir so: Mir geht die Sache ein bißchen zu glatt.«
    »He!« ermahnte ihn sein Kollege.
    Richtig, es war nicht an ihnen, irgendeine Glätte zu bewerten. Ihr Auftrag hatte gelautet, einen geständigen Richard Lukastik nach Wien zu bringen. Nun mußten sie
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