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Rheinmaerchen

Rheinmaerchen

Titel: Rheinmaerchen
Autoren: Clemens Brentano
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‘Ich habe ihn nicht hergetragen und brauche ihn auch nicht wegzutragen.’ Nun entstanden Prozesse, die kein Ende nahmen, und endlich Krieg. Das Einhorn wütete durch das ganze Gallien und hat mich schon bis hieher vertrieben. Täglich erwarte ich die traurige Nachricht, daß es sich meinem Hoflager nähere und ich mich von neuem zurückziehen müsse.« Kaum hatte der König diese Worte erzählt, als ein Kurier hereintrat und die Nachricht brachte, daß das Einhorn sich nahen müsse; denn schon nahe sich das ungeheure Wildschwein, welches immer vor ihm herlaufe und das Land verwüste. »Ach!« sprach der König, »wenn wir das abscheuliche Wildschwein nur los wären, mit ihm muß der Anfang gemacht werden, es ist der stärkste Bundesgenoß des Einhorns.« Worauf ich ihm erwiderte: »Ihro Majestät, ich habe mich zwar allein anheischig gemacht, das Einhorn für die Hand Eurer reizenden Tochter zu bezwingen; so aber Ihro Majestät mir versprechen, mir Prinzessin Lilie morgen abend zur Frau zu geben, so will ich morgen schon diesen Eber zu Ihren Füßen legen.« Der König lächelte und sagte: »Mein teurer Ritter Siebentot! ohne einen Zweifel in Eure Tapferkeit zu setzen, kommt es mir doch immer sehr kurios vor, wenn Ihr von solchen Heldentaten sprecht. Doch sei Euer Begehren bewilligt: so Ihr das Schwein tötet, soll Euch die Prinzessin gegeben werden.«
    Dies war unsere Unterredung am ersten Abend, worauf ich zu Bette ging und vortrefflich schlief. Am folgenden Morgen machte ich mich auf, um mein Heil mit dem Wildschweine zu versuchen. Kaum war ich eine Stunde weit in den Wald gegangen, als ich das Grunzen des Schweines hörte. Mich ergriff eine unbeschreibliche Angst, als es im Gebüsche hinter mir rasselte. Schnell lief ich in eine Kapelle, die im Walde stand, und machte die Türe zu; aber siehe da! das entsetzliche Schwein sprang zu mir durch das Fenster herein. Als ich es ankommen sah, sprang ich zur Tür hinaus und hielt sie zu; da sprang das Schwein wieder zum Fenster heraus gegen mich, und ich sprang wieder zu der Türe hinein. Kaum fand das Schwein die Türe abermals verschlossen, als es wieder zum Fenster hineinsprang und ich wieder zur Türe hinaus, und so ging dies Raus und Rein und Rein und Raus über sechs Stunden lang, bis das Schwein, welches immer den schweren Sprung über das Fenster machen mußte, so müde ward, daß es in der Kapelle beinahe tot an die Erde fiel. Nun warf ich mit Steinen nach ihm, und als ich sah, daß es sich kaum mehr regen konnte, nähte ich ihm die Nasenlöcher und das Maul zu und schnitt ihm den Schwanz ab, worauf ich die Kapelle verschloß und mit meinem Schweineschwanz nach Hof zurückeilte.
    Ich legte ihn dem Könige zu Füßen und begehrte Ketten und Jäger, um das Schwein abzuholen. Dies ward mir sogleich bewilligt. Ich zog mit allem versehen hinaus; wir fanden das Schwein bereits erstickt und schleiften es an einer Kette gebunden nach Hof vor den König. Der Prinz von Burgund ward bleich vor Verdruß, mich als Held zu sehen; denn er hätte die Prinzessin Lilie selbst gern geheiratet, auch die Prinzessin wollte nicht daran, ein so kleines Herrchen zu heiraten. Aber der König, der ein Mann von Wort war, ließ sich nichts einreden; ich wurde sogleich mit Lilie zusammen getraut und saß beim Abendschmaus zwischen ihr und dem König. Da gab mir der Prinz von Burgund einen Trunk, der ein wenig stark war, und ich ward so berauscht, daß ich den andern Morgen auf meinem Hochzeitsbette erwachte. Die Prinzessin Lilie saß auf einem Lehnstuhl neben mir und sprach, als ich die Augen öffnete: »Gott sei Dank! Ihr lebt noch, mein Herr und Gemahl! Ich zitterte schon für Euch. Was habt Ihr denn nur gehabt? Die ganze Nacht sagtet ihr: ‘Wichst mir das Garn’, oder ‘Manchester’, oder ‘Kamelhaar’, und dabei fuhrt ihr mit den Händen aus wie ein Schneider, der näht!« – »Ei!« sagte ich, »geliebte Prinzessin! ich träumte, daß ich in Manchester in Großbritannien ein Kamel in einem Garn gefangen hätte.« Damit ließ sie sich zufriedenstellen, und wir begaben uns zum König.
    Aber der war schon wieder in großer Not. Ein Kurier hatte ihm gemeldet, daß das Einhorn Paris eingenommen und auf die Nachricht von dem Tod des Schweines einen Riesen abgeschickt habe, den König tot oder lebendig zu fangen. Nun hetzte alles an mir, und die Prinzessin sagte, ich müsse den Riesen besiegen, oder sie hielte mich nach meinen Träumen für einen elenden Schneider. Alles lachte laut,
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