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Rheingrund

Rheingrund

Titel: Rheingrund
Autoren: S Kronenberg
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Arbeiter hatten einen kleinen Bagger mitgebracht, die Maschine allerdings so schief am Hang abgestellt, dass Ruth befürchtete, er könne abrutschen und die neue Mauer beschädigen. Sie rief ihren Schwiegersohn auf der Mobilnummer an. Bernhard versprach, innerhalb der nächsten 15 Minuten zu ihr zu kommen und sich der Sache anzunehmen.
    »Dann fragte er nach Inga. Zu der Zeit war er noch ganz verrückt nach dem Kind. Als er hörte, dass Inga Fieber hatte und Marika trotzdem gefahren war, wurde er ärgerlich. Er sah auch als Erstes nach der Kleinen. Inga war wieder aufgewacht.«
    »Wie ärgerlich war er?«
    »So ärgerlich, wie sich jeder besorgte Vater aufführt. Nicht mehr und nicht weniger.«
    »Können Sie sagen, um wie viel Uhr Bernhard bei Ihnen war?«
    »Er kam kurz vor 19 Uhr«, sagte sie, ohne nachzudenken. »Ich habe mir die Nachrichten angesehen, während er sich um das Kind kümmerte.«
    Zur selben Zeit, genauer, um 18.55 Uhr, stieg Marika auf dem Wiesbadener Hauptbahnhof in die S-Bahn nach Frankfurt. Das bewiesen glaubwürdige Zeugenaussagen, wie Norma aus dem Protokoll wusste.
    »Ihr Gedächtnis ist ausgezeichnet.«
    Ruth lächelte hintergründig. »Das Wissen verdanke ich weniger meiner Erinnerung als meinem Tagebuch. Seit ich ein junges Mädchen bin, führe ich über meinen Tagesablauf Buch. Möchten Sie noch Tee?«
    Während Ruth die Teetassen auffüllte, fragte Norma: »Und später sah Bernhard sich im Garten um?«
    »Gegen 8 Uhr gingen wir zusammen hinaus. Er stimmte mir zu und fand die Lage des Baggers ebenso bedenklich. In der Baufirma war niemand zu erreichen. Bernhard wollte den Bagger mit Balken abstützen, und ich schlug vor, er solle oben beim Gartenhaus nachsehen. Mein Mann hatte dort früher immer Holz gelagert; er konnte sich von nichts trennen.«
    Sie sei ins Haus gegangen, um nach Inga zu sehen, erzählte Ruth. Das Kind war aufgewacht und weinte. Ruth las ihr vor und legte sich zu ihr. Dabei schlief sie selbst ein. Als sie wach wurde, lief draußen ein Motor.
    »Bernhard hatte es geschafft, den Bagger zu starten. Ich sah nur die Scheinwerfer, es war inzwischen dunkel. Als ich hinauskam, sagte Bernhard, das Holz sei morsch und nicht zu gebrauchen gewesen.«
    Viel blieb nicht mehr zu tun, erklärte Ruth. »Bernhard hatte mit der Baggerschaufel einen Erdhügel aufgefüllt und den Bagger darauf abgestellt. So war das Gerät gut aufgehoben. Am Montag flachsten die Leute herum, weil Bernhard ihnen so viel Arbeit abgenommen hatte.«
    Norma trank einen Schluck Tee und stellte die Tasse ab. Besser, sie stand auf, bevor ihr Rücken durchbrach. Sie trat an das Fenster heran und schaute auf die Terrasse unterhalb. Die angrenzende steile Böschung war mit Rosen bepflanzt, und die Kante der Mauer, die den Hang hielt, wurde von einer Reihe blaugrüner Lavendelbüsche überwuchert. Ein brauner Hund ruhte mit ausgestreckten Beinen auf dem Treppenabsatz.
    Sie wandte sich zu Ruth um, die unbeweglich im Sessel ausharrte, als absolviere sie eine Asana. »Sie sagten, damals habe Bernhard sich sehr um seine Tochter gesorgt. Das klingt, als hätte sich sein Verhältnis zu Inga später geändert. Wann fing das an?«
    Ruth dachte einen Augenblick nach. »Schwer zu sagen. Inga blieb bei mir, nachdem Marika fort war. Erst ist es mir gar nicht aufgefallen, dass er sich immer weniger um sie kümmerte. Ich schob es auf seine Sorgen um Marika. Später glaubte ich, es läge an mir, und ich hätte das Kind zu sehr vereinnahmt.«
    »Sehen Sie das heute genauso?«
    Ruth erhob sich mit der Grazie einer Balletttänzerin. »Wir haben beide Fehler gemacht.«
    Sie trat zu Norma ans Fenster heran. »Inga sieht ihrer Mutter sehr ähnlich. So sehr, dass es mich jedes Mal trifft, wenn ich sie ansehe. Aber ihr Charakter ist völlig anders. Inga ist ein sehr stilles, verschlossenes Mädchen. Marika ist aufbrausend. So wie ich leider auch.«
    »Ich nahm an, ein Mensch, der Yoga praktiziert, sei besonders ausgeglichen«, entgegnete Norma verwundert.
    »Man kann Yoga gerade deswegen ausüben, um vielleicht zu dieser Ausgeglichenheit zu finden«, erwiderte die Yogalehrerin schmunzelnd.
    Der Hund war in den Garten getrottet und ging unsichtbaren Spuren im Rasen nach.
    Ruth verfolgte seinen Weg mit den Blicken. »Inga leidet sehr unter den Spannungen in der Familie. Sie ist überzeugt, ihr Vater würde sie nicht lieben.«
    »Liebt er sie?«
    «Sie wendet sich immer stärker von ihm ab.«
    »Das beantwortet meine Frage nicht.«
    Ruth wandte
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