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Rheingrund

Rheingrund

Titel: Rheingrund
Autoren: S Kronenberg
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sich Norma zu. Sie musste den Kopf heben, um Norma in die Augen zu sehen. »Sie nehmen es genau, das gefällt mir. Zu Ihrer Frage: Die Antwort heißt nein. Bernhard liebt seine Tochter nicht. Und auch das schmerzt mich. Er ist doch der Vater!«

3
    Norma ging zum Wagen, um den Ordner abzulegen, der von den vergeblichen Nachforschungen ihrer glücklosen Vorgänger zeugte, und nahm bei der Gelegenheit die Regenjacke heraus. Noch schien die Sonne, aber wer wollte dem Aprilwetter trauen? Über dem Wald bauschten sich dunkle Wolken auf. Auf der linken Seite des Grundstücks führte ein Fußweg steil bergauf und hielt sich dicht an den Zaun aus rostigem Maschendraht. Innerhalb der Umzäunung wucherte eine Hecke blühender Sträucher. Norma folgte dem Pfad, bis sich auf halber Höhe eine Lücke auftat und die Sicht auf das Haus freigab. Die Terrasse lag im Sonnenschein. Die Mauer, die das ansteigende Rosenbeet hielt, erwies sich als mächtiger, als der Blick aus dem Fenster hatte vermuten lassen. Sie war mannshoch und aus flachen grauen Steinen errichtet.
    Der braune Hund lugte angespannt durch die Lavendelbüsche. Als er die Spaziergängerin bemerkte, stutzte er einen Moment, sprang dann die Treppe herunter und jagte bellend heran. Ein Labrador, vermutete Norma, doch allzu gut kannte sie sich mit Hunderassen nicht aus. Als sie ihn freundlich ansprach, verstummte er und folgte ihr bergauf, wie das Rascheln in der Hecke verriet. Hinter dem oberen Ende des Grundstücks, das sich schmal und lang gestreckt den Hang hinaufzog, begann der Wald. Der Pfad mündete auf einen unbefestigten Weg, der dem Verlauf des Waldrands folgte. An einem Baumstamm entdeckte Norma eine auffällige Markierung, ein blaues Rechteck, das von einer weißen Schlangenlinie durchzogen wurde, in der man ebenso den Lauf des Rheins erkennen konnte wie den Buchstaben R: Das Zeichen des Rheinsteigs. Norma verschnaufte für einige Atemzüge und wandte sich nach rechts. Der Wanderweg verlief hier eben und führte unmittelbar hinter Ruth Diephoffs Garten entlang, der sich auch auf dieser Seite hinter Zaun und Hecke versteckte. Der Hund hatte im Gestrüpp einen Durchlass gefunden und zwängte sich mit eifrigem Hecheln am Draht entlang. Auf der Anhöhe herrschte ein kühler Wind. Sie blieb stehen und zog den Reißverschluss zu. Dabei fiel ihr hinter den Büschen ein verblasstes Blau auf. Eine Bretterwand? Vielleicht der Giebel des Gartenhauses, von dem Ruth gesprochen hatte? Im Näherkommen erkannte sie die Umrisse einer Hütte und gelangte nach einem kurzen Wegstück zu einem Tor, hinter dem ein Plattenweg zum Gartenhaus hinunterführte, das auf dieser Seite halb in den Hang gegraben war. Vom Tor aus waren nur die obere Kante der Rückwand zu erkennen, in der ebenerdig ein Fensterband verlief, und darüber das Ziegeldach mit faustgroßen Löchern. Bei einem Fenster fehlte die Scheibe.
    Norma betrachtete den Hund hinter dem Drahtgitter, der wiederum sie aufmerksam musterte. Mit harmloser Miene, sofern ihr Hundeverstand sie nicht täuschte. Gemächlich trottete er heran und beschnupperte die Hand, die Norma gegen die Maschen drückte. Ein heftiges Rütteln an der Klinke brachte ihr die Erkenntnis, dass die Tür – wie zu erwarten – abgeschlossen und der Hund – wie zu hoffen – nicht zu einem Angriff zu bewegen war. Sie nahm den Bund Dietriche aus der Jackentasche. Der Hund betrachtete ihr Tun mit schief gelegtem Kopf; ein braunes Schlappohr halb über dem Auge hängend, das andere in der Luft baumelnd. Löwenmut sah anders aus.
    »Du bist ein lieber Kerl, nicht wahr? Du machst bestimmt keinen Lärm.«
    Das Schloss war frisch geölt und ließ sich nach wenigen Versuchen öffnen. Entschlossen drückte sie das Tor auf und schlüpfte durch den Spalt in den Garten hinein. Der Labrador hielt den Einbruch für ein Spiel und alberte um ihre Beine herum, als sie den Plattenweg hinunterging. In der Vorderfront des Häuschens befand sich, umrahmt von zwei kleinen Fenstern, eine schlichte braune Tür. Der Hund hob den Kopf und trabte voraus. Vor der Schwelle blieb er stehen, schaute sich zu Norma um, als erwarte er ihre Unterstützung, bevor er wild aufheulend am Holz kratzte.
    Aus dem Innern der Hütte klang eine junge Stimme: »Halt die Klappe, Arlo!«
    Die Tür wurde aufgerissen, und Norma stand einem Mädchen gegenüber. Schmal, dunkelhaarig und in einen übergroßen Norwegerpullover gehüllt, strafte sie den Hund mit Missachtung. Das Gesicht war verweint. Sie wischte
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