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Rheingrund

Rheingrund

Titel: Rheingrund
Autoren: S Kronenberg
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waren in einem deutlich besseren Zustand als das Wohnhaus selbst.
    Sie klingelte an der Haustür aus getöntem Glas, die nicht zum rustikalen Charme des Hauses passen wollte. Für die Yogaschule gab es eine zweite Klingel. Im Garten schlug ein Hund an. Ruth Diephoff schien erfreut, als hätte sie Normas Erscheinen ungeduldig erwartet, und führte sie über eine steile Treppe hinauf in das Wohnzimmer. Norma warf einen Blick auf die Schwarz-Weiß-Fotos an der Wand, die Szenen der Weinlese zeigten und aus den 50er-Jahren stammen mochten. Dazwischen hingen Porträts von Männern und Frauen mit abgearbeiteten und lebensklugen Gesichtern.
    Ruth trat näher heran. »Die Familie meines Mannes hat das Weingut über viele Jahrzehnte betrieben. Das ist nun Vergangenheit. Mir gehören nur noch das Haus und ein Garten, der so steil ist, dass der Hund sein einsames Vergnügen damit hat. Die Weinberge musste ich nach dem Tod meines Mannes verkaufen. Ein befreundeter Winzer hat alles übernommen.«
    »Kam Ihr Mann bei einem Unfall ums Leben?«
    Ruth blickte zum Fenster, aus Normas Perspektive ein postkartenblauer Himmelsausschnitt. »Nein, das Herz setzte aus. Die Krankheit zog sich über Jahre hin. Die Arbeit entglitt ihm immer stärker. Eigentlich sollte Marika den Betrieb weiterführen. Sie hat in Geisenheim Weinbau studiert, und der Tag ihres Abschlusses war für meinen Mann der schönste Tag im Leben. Wie stolz er auf seine Tochter war! Aber wie so oft kam alles anders. Wollen wir uns setzen?«
    Der flache Couchtisch war mit zwei Tassen und einer Teekanne gedeckt. Das Teelicht flackerte. Neben dem Stövchen lag ein prall gefüllter Ordner mit der Aufschrift ›Marika‹: Die Unterlagen der anderen Privatdetektive, vermutete Norma, um die sie im Telefongespräch gebeten hatte.
    Ungeschickt sank sie auf das Sofa nieder. »Gab es Probleme zwischen Ihrem Mann und Marika?«
    Ruth setzte sich in den Sessel gegenüber. Sie lehnte sich nicht zurück und hielt sich gerade. »Es ging überhaupt nicht. Sie ist ganz die Tochter ihres Vaters. Zwei Hitzköpfe, die aufeinanderprallten. Der Praktiker gegen die Studierte. Es konnte nicht gut gehen. Marika heiratete Bernhard und arbeitete ab sofort in der Agentur.«
    »Um was für eine Agentur handelt es sich?«
    »Es geht um Film und Fernsehen. Unter anderem vermittelt mein Schwiegersohn zwischen Drehbuchautoren, Produktionsfirmen und den Sendeanstalten.«
    Norma nickte. Wiesbaden war ein beliebter Standort für Leute, die sich mit Film und Fernsehen beschäftigten, und zudem ein bevorzugter Wohnort für Mitarbeiter des Zweiten Fernsehens, das in der Nachbarstadt Mainz auf der gegenüberliegenden Rheinseite angesiedelt war.
    Ruth schenkte Tee ein. »Als mein Mann starb, wollte Marika das Weingut nicht aufgeben. Aber wir waren hoch verschuldet, sie musste den Plan begraben. Bernhard hätte es sowieso nicht gewollt.«
    Norma fragte sich, ob Ruth die Yogaschule betrieb, weil sie trotz ihres Alters Geld verdienen musste. Sie warf sich mit Schwung nach vorn und griff nach der Tasse. »Erzählen Sie mir von dem Tag, als Ihre Tochter verschwand.«
    Ruth trank Tee und ließ sich mit der Antwort Zeit. »Marika wollte zu diesem Seminar in Frankfurt. Die Kleine hatte Fieber, und Marika war unsicher, ob sie überhaupt fahren sollte. Ich habe ihr zugeredet und dachte, es täte ihr gut, andere Leute zu treffen. Oft denke ich, wenn sie nur hier geblieben wäre …«
    Sie warf Norma einen gequälten Blick zu.
    Norma probierte den Tee, einen durchscheinenden Darjeeling mit dem Duft von Zitrone. »Worum ging es in diesem Seminar?«
    »Das Thema hieß ›Lebensbewältigung und neue Perspektiven‹. Marika machte sich Vorwürfe, weil das Weingut verloren war. Sie glaubte, sie hätte ihren Vater nicht genug unterstützt.«
    Norma stellte die Tasse ab. »Frau Diephoff, ich habe mich erkundigt. Die ermittelnden Beamten kamen damals zu dem Schluss, dass Marika sich das Leben genommen hat. Sie hatte es schon einmal versucht.«
    Ruths Antwort kam ohne ein Zögern, wie zurechtgelegt. Vermutlich hatte sie wieder und wieder über dieser Frage gebrütet. »Es stimmt, Marika war depressiv. Nach Ingas Geburt kam sie deswegen in Behandlung und verbrachte mehrere Wochen in der Klinik. Für die Polizei war der Fall schnell erledigt.«
    »Vieles spricht dafür. Man fand Marikas Reisetasche unter der Schiersteiner Brücke. An genau der Stelle, an der sie bei ihrem ersten Versuch ins Wasser gestiegen war.«
    Ruth legte die Hände
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