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Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Titel: Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
Autoren: Simone Buchholz
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sie lange, glänzende Locken hatte. Vielleicht weil es der größtmögliche Kontrast zu dieser merkwürdigen Pornoperücke ist.
    Ich lege meine Zigarette in den Aschenbecher, nehme einen Stift und einen Block und mache eine Liste:
     
Warum hat er die Frau dort hingelegt, wo sie gefunden werden musste?
Warum hat er ihr Haut und Haare genommen?
Was soll die Perücke?
Wie war ihm zumute, als er ihr in aller Ruhe die Kopfhaut abtrennte? Erregt? Befriedigt? Wütend? Professionell?
Wie ist sein Allgemeinzustand?
Wird er es wieder tun?
    Mir wird schwindelig, ich lege den Stift weg und halte mich am Tisch fest. Ich nehme schnell einen Zug von meiner Zigarette, dann wird mir schwarz vor Augen, ich kippe nach hinten, vielleicht kippe ich auch kurz weg, ich weiß es nicht. Ich bin wieder Mitte zwanzig, mitten im Jurastudium, und trage meine Haare zu einem ordentlichen Knoten gebunden. Ich bin gewissenhaft und eine gute Studentin. Ich tue das, was man von mir erwartet, ich tue es nicht für mich, sondern für meinen toten Vater, er hat sich immer so sehr gewünscht, dass ich cool bin und stark, dass ich erfolgreich bin, dass ich allen zeige, wo der Hammer hängt, und ich zeige ihm, dass ich das kann, ich mache alles richtig, jeden Tag aufs Neue. Deshalb habe ich mein Jurastudium überhaupt nur durchgezogen, nur deshalb habe ich mich so angestrengt, nur für ihn. Während meines Referendariats in der Staatsanwaltschaft nennen sie mich: Knastpraline. Weil ich alle hinter Gitter schicken will, die ich vor Gericht treffe. You did no good? You go to jail. Später hat mir einer von denen, für die ich Höchststrafe gefordert hatte, gesteckt, dass Knastpraline nur ein anderes Wort für Frikadelle ist. Da hab ich mich ein bisschen geschämt und wurde gnädiger. Inzwischen bin ich nicht mehr so hart zu denen, die vielleicht nur mal Pech hatten.

    Jemand klopft an meine Tür.
    »Jetzt nicht«, sage ich.
    Der Jemand hält inne, ich kann fast hören, wie vor meiner Tür nachgedacht wird. Dann: Abgang. Wahrscheinlich wollte mir meine Sekretärin nur eine Tasse Kaffee bringen, so wie sie es um diese Zeit immer macht, und ich blöde Kuh hab sie abfahren lassen.
    Ich atme ein und wieder aus und nehme die Akte noch mal in die Hand. Wir haben bisher nicht einen Hinweis, der uns helfen könnte, herauszufinden, wer die Tote war. Nicht mal eine kleine Porzellankrone auf einem kaputten Zahn oder sonst was, womit wir die Datenbanken irgendwelcher Ärzte belästigen könnten. Und es gab in den letzten vierundzwanzig Stunden nicht eine Vermisstenanzeige. Und ohne Identität des Opfers keine Spur zum Täter, so ist das nun mal. Verdammt.
    Ich rufe Klatsche an.
    »Moin.«
    »Moin, Klatsche.«
    »Was kann ich für dich tun, Baby? Du hörst dich furchtbar an.«
    »Lass die Baby-Scheiße«, sage ich. »Wo bist du gerade?«
    »Im Einsatz«, sagt er. »Super Geschäft heute, ist wohl Tag der geschlossenen Türen.«
    »Bist du in Kieznähe?«
    »Nö«, sagt er, »ich kann da aber hinfahren. Geht’s um das tote Mädchen?«
    »Ja«, sage ich. »Es müsste mal jemand mit ein paar Leuten reden. Wir haben keine Ahnung, wer sie war.«
    »Ich nehme an, ich soll mit Leuten sprechen, mit denen du nicht so gerne sprichst.«
    »Genau«, sage ich.
    »Zuhälter?«, fragt er.
    »Bingo«, sage ich. »Die Kollegen durchkämmen heute noch die Tanzschuppen, aber auf Luden kann ich die nicht loslassen, das funktioniert immer nicht so richtig.«
    »Ist jetzt noch ’n bisschen früh am Tag«, sagt er, »aber ich kümmer mich drum.«
    »Ruf an, wenn du was rausgefunden hast, ja?«
    Ich lege auf, nehme meinen Mantel und gehe raus. Ich muss mal durchlüften.

    Ich fahre mit dem Schiff zum Mittagessen. Ich stehe an Deck, rauche gegen den Wind und lasse mir den Kopf zurechtblasen. Links die Containerschiffe, Kräne und Restposten alter Hafensiedlungen, rechts die schwimmenden Hochhäuser, in denen Asylbewerber aus schwierigen Ländern Unterschlupf finden. Dahinter klebt die Stadt und sieht riesig aus, eine Silhouette aus schwachen Lichtern, wie eine weitere Facette des wolkigen Himmels. Neben mir sitzt eine Frau, sie hat Kopfhörer auf und schaut aufs Wasser. Sie trägt ein zartrosa Kostüm und sieht nach Geschäftsfrau aus. Sie scheint ein bisschen Probleme mit ihren Schuhen zu haben, ihre Füße quellen am Spann ziemlich hervor. Und die Musik, die aus ihrem Kopfhörer kommt, muss pervers laut sein. Wenn ich das richtig mitkriege, hört sie Punkrock. Ich finde sie irgendwie nett,
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