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Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Titel: Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
Autoren: Simone Buchholz
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Nachtzeit trinke, wenn mir danach ist. Gerade ist mir aber nicht danach. Mein Kopf ist im Moment nicht in der Verfassung. Ich trinke Apfelsaft. Kriminalhauptkommissar Faller bestellt sich ein Wasser. Seit dieser verfluchte Mist damals passiert ist, seit ihm der Alkohol in einer düsteren Nacht seine Würde genommen hat, rührt er nichts mehr an. Und sein Gesicht ist seitdem um ein paar Schattierungen Grau reicher.
    Ich beiße in meine Currywurst. Phantastisch. Außen hart, innen weich, gerade genug Salz und ein Tick zu viel Pfeffer.
    »Also«, sagt der Faller, »was macht das tote Mädchen in Ihrem Kopf?«
    »Liegt da rum und blutet«, sage ich mit vollem Mund.
    »Dann drehen wir sie doch mal ein bisschen«, sagt der Faller.
    »Ich will nicht«, sage ich und spieße zwei Pommes auf.
    »Darauf können wir jetzt leider keine Rücksicht nehmen«, sagt er. »Es sei denn, Sie möchten den Fall abgeben.«
    Er schiebt sich ein Stück Wurst in den Mund und macht beim Kauen die Augen zu. Der Mann mit der Gitarre spielt einen meiner Lieblingssongs: Walk a Mile in My Shoes. Und ich bilde mir ein, der Himmel draußen über den Docks hätte einen rosa Schimmer angenommen.
    »Ich will den Fall nicht abgeben«, sage ich, »aber ich kann mich einfach nicht richtig darauf konzentrieren. Mein Kopf springt nicht an, und wenn, tut er weh. Es ist, als würde die Sache mich krank machen.«
    »Wo genau tut’s denn weh?«, fragt er. »Eine Tote macht Ihnen doch sonst auch nicht solche Probleme.«
    Es geht darum, dass er ihr die Haut abgezogen hat, denke ich. Ich denke an ihre Haut und habe Angst um meine eigene, warum auch immer.
    »Mir fehlt der Zugang zu seinem Gehirn«, sage ich. »Ich kann und will mich nicht in ihn reinversetzen.«
    Der Faller weiß so gut wie ich, dass genau das normalerweise meine große Stärke ist: denken wie ein Täter. Im Grunde meines Herzens bin ich kriminell. Ein Schwerverbrecher. Ein richtig schlimmer Finger. Aber kein Psychopath.
    »Sie sind eben kein Psychopath, Chef«, sagt der Faller.
    »Sind Sie einer?«, frage ich und kippe meinen Saft auf ex.
    »Ich«, sagt er, »bin eher der Typ für einen handfesten Totschlag.«
    Ich weiß, dass er das ist.
    »Wir stehen also richtig schön scheiße da«, sage ich.
    »Muss ja keiner merken«, sagt er. »Und jetzt lassen Sie uns mal Hand in Hand in die Psychopathenhölle spazieren.«
    Ich lege meine Plastikgabel weg. Draußen pfeift eine Windböe um die Ecken der Currywurstbaracke und rüttelt am Holz, und dann ist es wieder still, bis auf die Möwen, bis zur nächsten Böe. Originalton Hamburg. Der Mann mit der Gitarre hat die Musikrichtung gewechselt und spielt jetzt Seemannslieder. Deine Heimat ist das Meer.
    Der Faller stippt drei Pommes in die Currysauce und steckt sie sich in den Mund.
    »Die Vorstellung von abgetrennter Kopfhaut«, sagt er und kaut, »wie schlimm ist das für Sie?«
    »Kann ich nicht sagen.«
    »Falsch«, sagt er, »Sie können nicht drüber reden.«
    Ich zucke mit den Schultern.
    »Er wollte nicht ihre Haut, Chas«, sagt er. »Er wollte ihre Haare. Und leider eben komplett. Hören Sie also auf, über Haut nachzudenken. Unser Thema ist: Haare.«
    »Ich glaube, sie war brünett«, sage ich.
    »Das ist Spinnerei, Chas«, sagt er. »Es gibt auch jede Menge Blondinen mit dunklen Augenbrauen.«
    »Wissen wir schon was über die Perücke?«, frage ich.
    »Australisches Fabrikat«, sagt er, »wird auf der ganzen Welt verkauft. Massenware, in jedem Transenshop erhältlich, allein auf dem Kiez liegen die hundertfach in den Regalen.«
    »Lassen Sie uns trotzdem die Kollegen drauf ansetzen«, sage ich.
    »Selbstverständlich«, sagt er.
    Ich bestelle mir dann doch ein Bier, was soll’s. Und der Faller vernichtet die Reste seiner Wurst und sagt mit vollem Mund eines seiner Lieblingsgedichte auf, es ist eine Zeile aus einem sehr schönen Lied, das ich ihm vor Jahren mal vorgespielt habe, als es ihm nicht so gut ging: »Der Mensch besteht fast nur aus Wasser, und der Rest ist Alkohol. Nur wenn er sturzbetrunken weinen kann, fühlt er sich restlos wohl.«
    »Es ist gleich zwei«, sage ich und nehme einen kräftigen Schluck aus der Pulle. »Wir müssen los.«

    Im Konferenzraum in der Staatsanwaltschaft sitzen an einem großen Tisch: der Brückner und der Schulle, zwei junge Kollegen aus Fallers Mordbereitschaft. Herr Borger, unser Psychologe. Eine junge Assistenzärztin aus der Pathologie. Der Hollerieth von der Spurensicherung. Und der Faller und ich. Der
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