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Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Titel: Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
Autoren: Simone Buchholz
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wie sie da sitzt, in ihrem Kostüm und ihren zu kleinen Schuhen und mit diesem Krach in ihren Ohren. Ich lächle sie an, aber sie reagiert nicht. Blöde Nuss. Ich schaue weg, spüre ein Schwindelgefühl in mir hochsteigen und atme Hafenluft, so viel ich kriegen kann.
    Das Schiff legt am Museumshafen an, am Pier liegt ein zum Café umgebautes Schiff, am Ufer stehen kleine alte Häuser mit winzigen Vorgärten. Die Art von Idylle, die mich normalerweise schreckt, aber heute tut sie ganz gut. Ich schaue noch mal zu Frau Punkrock rüber, jetzt lächelt sie plötzlich, aber ich glaube nicht, dass ich gemeint bin, und gehe an Land. Aus den Augenwinkeln kann ich sehen, wie sie anfängt, sich zur Musik zu bewegen, und eine Art Sitztanz aufführt. Wie offensichtlich manche Leute doch ihren Wahnsinn zur Schau stellen. Verrückt.
    Die Imbissbude steht noch. Sie ist so baufällig und abgerockt, ich habe große Angst, dass sie eines Tages einfach vom Erdboden oder gar vom Wasser verschluckt wird. Die Bude ist ein Traumplatz, und nur wenige wissen das und kommen hierher. Die meisten werden von den offensichtlich gemütlichen Cafés in Strandnähe angesaugt. Der Imbissbude sieht man von außen nicht an, wie viel Seele sie hat. Sie ist ja nicht mal eine Hütte, mehr ein Verschlag. Aber gegenüber ist das Herzstück des Hafens, da sind die großen Docks, das ist ein gutes Gefühl, die so in der Nähe zu haben. Und wer in der Bude mal drin ist, spürt es sofort: Hier darf man sein. Hier ist alles okay. Hier gibt es an richtig kalten Tagen sogar Erbsensuppe. Hier hab ich vor ein paar Jahren Carla kennengelernt.

    Das war an einem Samstag, es regnete und stürmte, und die Bude war brechend voll, die ganze Stadt schien dort Schutz vor dem Wetter zu suchen. Ich fühlte mich einsam und war schon durch den ganzen Hafen gelaufen auf der Suche nach einer ehrlichen Flasche Bier. Carla stand zufällig neben mir in der Tür, wir versuchten beide, uns noch reinzuquetschen, als plötzlich eine Welle Elbwasser über den Anleger schwappte. Nirgendwo war ein Schiff zu sehen gewesen, die Welle kam völlig unerwartet, und nach dem ersten Schreck fingen alle in der Bude an, sich vor Lachen auszuschütten, vermutlich aus Erleichterung darüber, dass das alte Ding nicht einfach mit raus aufs Wasser gesprungen war. Wir waren die Einzigen, die es voll erwischt hatte, und auch die Einzigen, die sich nicht totlachten. Ich war stinksauer, meine Haare und mein Mantel trieften, ich hatte Brackwasser geschluckt, es war ekelhaft, ich wollte gerade anfangen, alle anzuschreien, als Carla nach dem Fischbrötchen ihres Nachbarn griff, den Hering da rausnahm und sich bis zur Hälfte in den Mund steckte. Sie legte den Kopf schief, schnitt ein dummes Gesicht in meine Richtung, und so nass, wie sie war, sah das brutal komisch aus. Ich musste grinsen und bestellte zwei Bier. Seit diesem Tag sind wir Freundinnen. Sie ist meine einzige Freundin.

    Heute stehen nur ein paar versprengte Gestalten hier rum, alte gammelige Hafenmänner mit zufriedenen, furchigen Gesichtern. Einer von ihnen hat sich eine Gitarre umgehängt und spielt Elvis. Er singt nicht, er klimpert nur einen Song nach dem nächsten. Auf der Schiefertafel hinter der Theke steht: HEUTE CURRYWURST. SO GROSS, DASS SIE VERBOTEN GEHÖRT.
    Ich rufe den Faller an und sage ihm, dass er herkommen soll.
    »Warum?«, fragt er.
    »Es gibt Anarcho-Currywurst, und es liegt Musik in der Luft«, sage ich.
    »Warum noch?«, fragt er.
    »Ich könnte Gesellschaft brauchen.«
    Der Faller sagt: »Ich komme.«
    Eine Viertelstunde später ist mein alter Kumpel da. Ich schätze, er ist mit Blaulicht gefahren. Manchmal hab ich den Verdacht, dass er mich heimlich adoptiert hat. Vielleicht wünsche ich mir das aber auch nur. Seine Tochter ist jetzt zwanzig. Wenn ich den Faller mit seiner Tochter sehe, wenn ich sehe, wie er sich vor sie stellt, egal was passiert, wenn ich all die Liebe für sie in seinen Augen sehe, dann legt sich eine Klammer um meine Seele und presst mir alles zusammen, und manchmal geschieht es, dass der Faller das merkt, und dann holt er mich irgendwie rein in den Kreis, und ich könnte heulen und muss sofort eine rauchen.
    Ich schiebe dem Faller eine von den beiden monströsen Currywürsten mit Pommes rüber, die ich für uns organisiert habe.
    »Bier?«, fragt er.
    »Nicht für mich«, sage ich, »ich bin im Dienst.«
    Der Faller grinst. Er weiß, dass mir das eigentlich egal ist und dass ich zu jeder Tages- und
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