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Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Titel: Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
Autoren: Simone Buchholz
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hat, hab ich immer leise vor mich hingesungen. Gerade so laut, dass ich noch hätte hören können, wenn von links ein kleiner Buckliger ohne Gesicht aufgetaucht wäre, aber laut genug, um den Monstern vorzugaukeln, ich hätte keine Angst. Auf dem Weg in die Pathologie ist mir grundsätzlich nach Singen.
    Der Faller holt mich auf der Treppe ein.
    »Showtime, Chastity!«
    »Geisterbahn, Faller«, sage ich und bleibe kurz stehen, bis wir gleichauf sind.
    »Wie geht es Ihnen?«, fragt er und sieht mich an. Der macht sich schon wieder Sorgen.
    »Ich bin müde«, sage ich. »Und nicht in der Stimmung für eine zweite Begegnung mit einer verstümmelten Leiche.«
    »Ja«, sagt er, »irgendwie wirken sie auf den Metallpritschen noch bedrohlicher als in ihrer natürlichen Umgebung.«
    »Ich hab immer das Gefühl«, sage ich, »wenn man sie zum zweiten Mal gesehen hat, kann man ihren Anblick noch viel schlechter vergessen. Haben Sie schon mit den beiden Matrosen gesprochen?«
    »Ja, ja«, sagt der Faller. »Die tun so, als würden sie unter Schock stehen, und kriegen das Maul nicht auf. Aber ich glaube sowieso nicht, dass die irgendwas wissen könnten, was uns interessiert. Die wirken nicht so, als hätten sie das Kaliber, nach dem wir suchen. Außerdem läuft ihr Frachter heute Abend wieder aus, und es gibt nicht wirklich einen Grund, sie hier festzuhalten.«
    Der Faller nun wieder.
    Ich denke, er hat recht, und vertraue seinem Urteil. Der alte Mann wird schon wissen, wie er die Situation einzuschätzen hat.
    »Und was sagen die Herrschaften von der Spurensicherung?«
    »Eine Menge«, sagt der Faller. »Mit dem Ergebnis, dass wir keinen einzigen brauchbaren Hinweis auf den Täter haben, nicht mal eine Fußspur. Hat ja letzte Nacht wieder mal Katzen und Hunde geregnet. Der Typ hatte echt Glück mit dem Wetter.«
    »Was macht Sie so sicher, dass unser Mörder ein Mann ist?«, frage ich.
    »Jemanden zu erdrosseln«, sagt er, »ist nicht gerade Frauensache, oder?«
    Richtig. Dafür braucht man Kraft, Brutalität und gute Nerven. Eine Innenverteidiger-Konstitution. Es gibt nur sehr wenige Frauen, die so sind.
    Wir gehen nebeneinander die letzten Stufen runter, und je weiter nach unten wir kommen, desto steriler und glatter wird alles, die grauen Treppen und Wände wirken so rutschig, als könne man, einmal dort unten, jeden Gedanken daran vergessen, es jemals wieder nach oben zu schaffen.
    »Alles in Ordnung?«, fragt der Faller.
    »Ja«, sage ich, »alles okay.«
    Vor uns liegt die Stahltür zur Pathologie, dahinter ist der Kunststoffvorhang, und dahinter sind die Toten. Ich würde mich gerne bei ihm einhaken, traue mich aber nicht, was wäre das denn für eine Demütigung, die Frau Staatsanwältin mit vollen Hosen, das geht nun wirklich nicht.
    Tür auf, Vorhang beiseite, Totentanz.
    Der Doc wäscht sich gerade die Hände. Irgendwann mach ich mal mit und wasch mir dann auch direkt die Nase aus, wenn ich hier fertig bin. Dieses Desinfektionsmittel, nach dem es in den Klinikkatakomben immer stinkt, macht mich ganz zappelig. Süß und zitronig, umgekippter sizilianischer Likör auf Domestos. Und einmal gerochen, verlässt es einen den ganzen Tag nicht. Egal, was ich danach essen oder trinken will, es schmeckt nach Pathologie. Meistens nehme ich nach einem Besuch in den Kellern der Uniklinik erst mal nichts mehr zu mir.

    Der Raum ist komplett gefliest und in einen grünen Schimmer getaucht.
    Das Mädchen liegt unter Neonlicht auf dem furchtbar hohen Seziertisch. Ihre Haut ist durchsichtig und fast weiß. Rund um ihren Hals verlaufen die Spuren ihrer tödlichen Begegnung mit einem Strangulierwerkzeug, ein Stückchen weiter unten ziehen sich parallel und im rechten Winkel dazu zwei fein vernähte, leicht rötliche Linien. Eine verläuft entlang ihrer Schlüsselbeine, eine von der kleinen Kuhle unter ihrem Kehlkopf bis zu ihrem Schambein. Aufgemacht, zugemacht. Die hellblaue Perücke liegt auf einer Ablage zwischen Waschbecken und Tisch, ordentlich in eine Gefriertüte gepackt. Ihr Gesicht ist hübsch, jung und wirkt fast ein bisschen kess. Ich schätze, sie war maximal Mitte zwanzig. Ihr Schädel ist ein Schlachtfeld. Eine Katastrophe. Ich kann kaum hinsehen.
    »Schießen Sie los, Doc«, sagt der Faller.
    So ist das mit unserer Aufgabenverteilung: In der Pathologie redet grundsätzlich er, während ich versuche, nicht umzufallen.
    »Der Tod trat zwischen zwei und vier Uhr ein«, sagt der Doc. »Sie wurde erwürgt und hat sich
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