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Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Titel: Revolverherz: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
Autoren: Simone Buchholz
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einfach niemanden, der schneller, billiger und mit mehr Freude jedes Schloss knackt.

    »Und warum, bitte, sitzt du hier rum?«, frage ich ihn.
    »Ich hab meinen Schlüssel verloren.«
    »Hör mal, Klatsche«, sage ich, »es gibt keine Tür der Welt, die du nicht aufkriegst …«
    Er grinst und lässt den Kopf hängen.
    »Ach, nee«, sage ich.
    »Doch«, sagt er und sieht mich an, als wäre er die ärmste Sau der Welt.
    »Unser Mister Superschlüsseldienst ist ohne sein Werkzeug aus dem Haus gelaufen?«
    Klatsche zuckt mit den Schultern. Grüne Augen, immer noch. »War ein echter Notfall«, sagt er.
    Ich weiß, wie seine Notfälle aussehen: blond, knapp über zwanzig, auffällige Statik im Brustbereich.
    »Da sind jetzt aber alle ganz furchtbar froh, dass die nette Nachbarin einen Zweitschlüssel in ihrer Bude hat, hm?«
    Klatsche nickt. Er hat seine Ausgehlederjacke an, ein ranziges braunes Ding mit kaputtem Reißverschluss, und er sieht auch sonst so aus, als wäre er heute noch nicht unter der Dusche gewesen. Notfall eben.
    »Na los, komm rein«, sage ich, nachdem ich es endlich geschafft habe, meine Tür aufzuschließen. Klatsche schält sich von der Treppe, an der Schwelle zu meiner Wohnung wartet er drei Sekunden, schaut mich an.
    »Schon okay«, sage ich.
    Klatsche steckt sich demonstrativ die Hände in die Hosentaschen und macht einen übertrieben vorsichtigen Schritt in meinen Flur: »Danke, Ma’am.«
    Ich gehe wortlos an ihm vorbei in die Küche. Klatsche war zum letzten Mal vor einem halben Jahr in meiner Wohnung. Seitdem ist ihm der Zutritt zu meiner Bude eigentlich streng verboten. Denn an jenem Tag landete er in meinem Bett, und wir sind da für vierundzwanzig Stunden nicht mehr rausgekommen. Nicht, dass es nicht schön gewesen wäre, ganz im Gegenteil: Es hat mich komplett aus der Spur geworfen, ich konnte tagelang nicht denken, nicht schlafen, nicht arbeiten. Das hat mir Angst gemacht, und Angst kann ich nicht gebrauchen. Außerdem ist der Junge locker fünfzehn Jahre jünger als ich. Was wäre das denn für ein Quatsch, wir zwei, als Paar. Aber ich habe das Gefühl, dass wir inzwischen drüber weg sind, und will mal nicht so sein.
    Er steht in der Küchentür, tippt mit dem Finger an den Türrahmen, als würde er sich verbrennen, und macht: »Tsss!«
    »Hör auf mit dem Scheiß, Klatsche, sonst fliegst du gleich wieder raus. Ich könnte deine Mutter sein.«
    »Bist du aber nicht, Baby.«
    »Nenn mich nicht Baby.«
    »Ja, ja, schon gut, hohes Gericht.«
    »Ich bin Staatsanwältin.«
    »Und so was von verspannt. Scheiße, Chastity, was ist denn passiert?« Er lässt sich breitbeinig auf einen Stuhl fallen, ich kann sehen, wie sich die Muskeln unter seiner Jeans spannen. Draußen vor meinem Küchenfenster tummeln sich die Wolken und rutschen noch mal ein Stück tiefer, sie liegen fast schon im Hinterhof rum. Ich erzähle ihm von dem toten Mädchen, während ich Kaffee mache. Von der Perücke und dem, was darunter, oder besser: nicht darunter war.
    »Das war so widerlich«, sage ich.
    »Schlimmer als der Opa ohne Füße vom letzten Winter?«
    »Ja«, sage ich, »viel schlimmer. Das mit den Füßen war eine klare Sache unter Albanern. Der Opa wurde bestraft, weil er in deren Revier rumgelatscht ist. Das hier wirkt nicht so, als hätte es mit nicht eingehaltenen Absprachen zu tun. Das ist kein Kiezding. Das muss was anderes sein. Was Krankes. Wer klaut einer Frau Haut und Haare?«
    »Ein arbeitsloser Frisör?«
    »Spinner«, sage ich.
    »Gib Laut, wenn du Hilfe brauchst«, sagt er.
    Ich könnte Hilfe brauchen, denke ich, aber anders, als du meinst, und das sage ich lieber nicht, das gibt nur Schwierigkeiten. Wenn ich gerade eine Leiche hinter mir habe, geht’s mir nicht gut. Eine Leiche zu sehen macht einsam. Mit einer Leiche vor der Nase hört man augenblicklich auf, sich was vorzumachen, und begreift: Das kann alles ganz schnell kaputtgehen. Fühl dich nicht zu sicher. Ist alles nur Einbildung. Und auch wenn du glaubst, in deinem Leben sind die Katastrophen alle schon passiert, kann es immer noch schlimmer kommen. Das Einzige, was du dann noch tun kannst, ist, niemanden mit reinzuziehen.
    Ich bemühe mich, nicht zu sehr auf Klatsches Unterarme zu starren.
    »Hier«, sage ich ruppig und stelle ihm eine Tasse Kaffee vor die Nase.
    Ich muss zusehen, dass er möglichst schnell wieder aus meiner Wohnung verschwindet. Ich hab mich wohl überschätzt.

    Früher, wenn mein Vater mich in den Keller geschickt
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