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Rettungslos

Titel: Rettungslos
Autoren: van der Vlugt Simone
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herausklauben muss. Auch Salz und Pfeffer richtig zu dosieren, gelingt nicht. Dass ihre Hände zittern, irritiert sie, gleichzeitig hat sie das Bedürfnis, beschäftigt zu bleiben und so den Schein aufrechtzuerhalten, dass sie noch Herrin der Lage ist.
    Langsam und bedächtig dreht sie sich zum Kühlschrank um, und diesmal lässt er sie gewähren. Käse und Schinkenscheiben landen krumm und schief auf den Eiern, deren Dotter langsam stocken. Jetzt kann sie das Gas herunterdrehen und die Eier mit dem Pfannenwender aus Metall anheben. Es tut gut, etwas in der Hand zu haben, das als Waffe dienen kann, und sei sie auch noch so kümmerlich.
    Wie gebannt starrt der Mann auf die Pfanne und saugt den Essensduft förmlich ein. Plötzlich stößt er Lisa beiseite, nimmt die Pfanne vom Herd und kippt die Eier auf das Schneidebrett. Mit den Händen verteilt er sie auf zwei Brotscheiben, die er anschließend im Stehen isst.
    Mit dem Rücken an der Wand sieht Lisa zu. Meine Güte, wie der Mann schlingt! Wenn er noch größere Bissen nimmt, erstickt er daran.

    Aber er verschluckt sich nicht. Plötzlich kommt er auf Lisa zu. Sie stößt einen unterdrückten Schrei aus, aber er macht nur den Kühlschrank auf, nimmt die Milchpackung heraus und setzt sie an den Mund. Die Milch rinnt ihm über das unrasierte Kinn und tropft auf seine Kleider.
    Lisa atmet tief durch. Was hat er als Nächstes vor? Kann sie telefonieren oder gar mit Anouk fliehen? Nein, sie muss alles vermeiden, was ihn reizen könnte. Außerdem wohnt sie zu abgelegen, als dass sie eine Flucht wagen könnte. Allein würde sie es versuchen, aber nicht mit einem kranken Kind.
    Ihre einzige Chance ist das Telefon. Ihr Handy liegt auf der Kommode, sie braucht nur den Notruf zu wählen …
    Langsam löst sie sich von der Wand, aber der Mann versperrt ihr sofort den Weg.
    Â»Bleib stehen.«
    Seine Stimme klingt ruhig, aber dadurch umso bedrohlicher. Lisa rührt sich nicht.
    Er wirft die leere Milchpackung auf die Arbeitsfläche und späht durch die offene Tür ins Wohnzimmer, zu Anouk, die mit schreckgeweiteten Augen auf dem Sofa sitzt. Sie fremdelt stark, und auch Bekannten gegenüber, die sie eine Zeit lang nicht gesehen hat, gibt sie sich oft scheu. Es kam schon vor, dass sie bei Geburtstagsfeiern von Freundinnen eine geschlagene Stunde im Flur stand, weil sie sich nicht ins Getümmel im Wohnzimmer traute. Erst als niemand mehr auf sie achtete, schlich sie hinein und überwand langsam, aber sicher ihre Schüchternheit.

    Jetzt sitzt sie in ihrem lila Dora-Schlafanzug da und starrt den wildfremden Mann in der Küche an. Ängstlich sucht sie den Blick ihrer Mutter, und die Unterlippe beginnt zu zittern.
    Â»Ma-ma?«
    Mit einer schnellen Bewegung drängt sich Lisa an dem Mann vorbei und bildet mit ihrem Körper einen Schild zwischen ihm und ihrer Tochter. Wenn er Anouk etwas antun will, muss er es erst mit ihr aufnehmen. Das dürfte ihm zwar keine große Mühe bereiten, aber jede Sekunde, die sie ihn in der Küche halten kann, zählt.
    Â»Ganz ruhig, mein Schatz!«, ruft sie Anouk beschwichtigend zu.
    Â»Wer ist das?«
    Â»Der Mann hatte großen Hunger. Ich hab ihm was zu essen gemacht.«
    Â»Aber wer ist das?«, wiederholt Anouk mit jener störrischen Beharrlichkeit, wie sie Kindern in diesem Alter eigen ist.
    Die Antwort bleibt Lisa im Hals stecken, denn der Mann drängt sie grob beiseite und lässt den Blick prüfend durch das Wohnzimmer mit Essecke gleiten. Anscheinend weiß er selbst nicht so recht, was nun werden soll. Womöglich ist er nicht richtig im Kopf?
    Dann aber sieht er Lisa direkt an, und sein Blick bekommt etwas Berechnendes.
    Â»Geh rein«, sagt er schroff.

2
    Insgeheim hatte sie gehofft, dass er verschwindet, nachdem er sich satt gegessen hat. Stattdessen geht er nun durch ihr Wohnzimmer, nimmt Fotos zur Hand, zieht Schubladen auf und guckt in die Schränke. Bitte sehr, ihretwegen kann er den gesamten Hausrat mitnehmen, solange er nur Anouk und sie in Ruhe lässt.
    Â»Du hast ein schönes Zuhause.«
    Â»Danke.« Wie dämlich das klingt – ganz so, als wäre er ein Bekannter, der einen Höflichkeitsbesuch macht, und kein zwielichtiger Eindringling, aber etwas anderes fällt ihr nicht ein. Nicht provozieren, auf keinen Fall provozieren. In Ruhe abwarten, was er als Nächstes vorhat, und möglichst
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