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Rettet unser Geld

Rettet unser Geld

Titel: Rettet unser Geld
Autoren: Hans-Olaf Henkel
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Wobei er damit jenes Totschlagargument verband, das sein Vorgänger Eichel an mir erprobt hatte. Schäuble sagte nämlich über Sarrazin, in der Mediengesellschaft sei es unvermeidlich, dass verantwortungsloser Unsinn umso mehr Öffentlichkeit finde, je mehr Tabus verletzt würden.
    Schäuble hat damit im Umkehrschluss die Wahrheit verkündet, dass es bei uns tatsächlich für verantwortungsvoll und sinnvoll gilt, keine Tabus zu verletzen. Und zu den Tabus, vor denen sich Hans Eichel wie Wolfgang Schäuble verbeugten, gehört nun einmal die Unantastbarkeit des Euro und die Nichtwiedereinführbarkeit der D-Mark. Dieses Tabu ist weder verantwortungsvoll noch sinnvoll, sondern ganz einfach ein Schaden für unser Land.
    Natürlich läuft derlei Argumentation darauf hinaus, dass der Andersdenkende als »Tabubrecher« und »verantwortungsloser Unsinnredner« einen Maulkorb verpasst bekommt. Das hat lange Tradition in unserem ach so freiheitlichen Gemeinwesen, nur ist es seit einiger Zeit besonders schlimm geworden. Als
Rot-Grün an der Macht war, glaubte ich, die Alt-68er seien daran schuld, dass jedem, der eine abweichende Meinung zu äußern wagte, gleichsam der mediale Schauprozess gemacht wurde. Doch seitdem wir eine konservativ-liberale Regierung haben, hat sich daran gar nichts geändert. Kanzlerin Merkel betätigte sich als oberste Zensorin und verpasste Thilo Sarrazins Buch noch vor seinem Erscheinen das Etikett »nicht hilfreich«; mehr noch: »überhaupt nicht hilfreich«. Das besagte ja wohl: Ab in den Reißwolf.
    Man darf fragen, ob sie sich das auch gut überlegt hat. Gewiss, der Ausdruck ist ein Understatement wie das sprichwörtliche »I’m not amused« der Queen, das heißt, er ist diplomatisch klug gewählt, da er den Menschen scheinbar ungeschoren lässt. In Wahrheit ist er aber raffiniert, weil er ihr eine klare Stellungnahme erspart: Die Kanzlerin als Beurteilungsautorität sagt nicht, das Buch sei gut oder schlecht, sein Autor dumm oder böse - sie sagt lediglich, es sei nicht hilfreich. Und was bedeutet das? Nichts! Solange sie nicht sagt, wem es nicht hilft, bleibt die Aussage eine Worthülse, und das sollte sie auch sein, ein leerer Begriff, in den sich nun jeder das hineindenken kann und soll, was die Kanzlerin eigentlich gemeint haben könnte. Und da ihre Meinung mutmaßlich negativ ausfiel, hat sie doch ihre Wirkung erreicht, ohne die Verantwortung dafür übernehmen zu müssen. Mir scheint das »überhaupt nicht hilfreich«, liebe Angela Merkel.
    Dass führende Minister, die Kanzlerin vorweg, vorschnell und ohne genaue Kenntnis des Buches ihr Verdammungsurteil sprachen, stimmte mich tief traurig. Dass Politiker aller Parteien ins gleiche Horn stießen, machte mich wütend. Aber dass die meisten Medien sich einen wahren Vernichtungswettkampf lieferten, wer diesen »Rassisten« am schnellsten zur Strecke bringen würde, widerte mich an.

    In all meinen Büchern habe ich dieses schändliche Verhalten beschrieben, das unserer angeblichen Meinungsfreiheit Hohn spricht. Zu den unangenehmen Erfahrungen, die ich selbst mit den Hohepriestern der Tabuverteidigung sammeln konnte, kamen jene der anderen, die weit härter betroffen waren. Hinterher hat sich meist gezeigt, dass sie - die Geächteten, Ausgestoßenen, Unmöglichgemachten - wohl Recht gehabt hatten. Ich erinnere nur an den Historiker Ernst Nolte, der 1986 auf die unübersehbaren Parallelen zwischen der Nazi- und der Stalindiktatur hingewiesen hat sowie darauf, dass die bolschewistische Tyrannei für Hitler einen gewissen Vorbildeffekt gehabt hatte und der braune Terror teilweise Reaktion auf den roten Terror gewesen sei. Es kam zum »Historikerstreit«, der in Wahrheit ein Scherbengericht über Ernst Nolte war und der nicht nur zu dessen Kaltstellung, sondern auch zur Errichtung eines Tabus führte: Du sollst Kommunismus und Nationalsozialismus nicht vergleichen.
    Heute, ein Vierteljahrhundert später, gehört dieser Vergleich zu den Selbstverständlichkeiten, denen sich kein Wissenschaftler mehr entziehen kann. Und mit Staunen las ich das Geständnis des Historikers Hans-Ulrich Wehler, es sei damals weniger eine wissenschaftliche Auseinandersetzung gewesen als eine ideologische Kampfansage an die deutschen Konservativen. Es ging nicht um die Wahrheit, sondern um die Deutungshoheit über die Wahrheit. Und wer über die Deutungshoheit verfügt, der spricht Denkverbote aus und verteilt Maulkörbe. Am besten noch »im Namen der Freiheit«. Ich
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