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Rette mich vor dir

Rette mich vor dir

Titel: Rette mich vor dir
Autoren: Tahereh H. Mafi
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bin, und ich versuche etwas zu erkennen, ohne mir anmerken zu lassen, dass ich bei Bewusstsein bin.
    Die Soldaten sprechen nicht.
    Ich hatte gehofft, dass ich ihren Gesprächen irgendetwas entnehmen könnte, aber sie sagen kein Wort. Sie sind wie Maschinen, wie Roboter, die auf eine bestimmte Aufgabe programmiert sind, und ich würde zu gern wissen, warum ich vom Schlachtfeld weggeschleppt wurde, um getötet zu werden. Ich frage mich, weshalb mein Tod so etwas Besonderes sein muss. Ich frage mich, warum man mich aus dem Panzer gezerrt hat und nun einem wütenden Windspiel aussetzt, und ich blinzle ein wenig und muss mich beherrschen, um nicht verblüfft zu keuchen.
    Es ist das Haus.
    Das Haus im Sperrgebiet, das hellblaue Haus, das einzig bewohnbare Gebäude weit und breit. Das Haus, das Kenji für eine Falle hielt, das Haus, in dem ich vermutet hatte, Warners Vater zu treffen, und dann trifft mich eine Art Schlag. Mit der Wucht eines Vorschlaghammers. Eines rasenden Zugs. Die Wahrheit.
    Anderson muss hier sein. Er will mich selbst umbringen.
    Ich bin eine Speziallieferung.
    Sie klingeln sogar an der Tür.
    Ich höre drinnen Schritte. Knarren und Knirschen. Ich höre den peitschenden Wind, und dann sehe ich meine Zukunft, in der Anderson mich zu Tode foltert, und ich frage mich, wie um alles in der Welt ich entkommen kann. Anderson ist zu schlau. Er wird mich vermutlich an den Boden ketten lassen und mir nach und nach die Gliedmaßen abschneiden. Genüsslich.
    Er öffnet die Tür.
    »Ah! Meine Herren. Vielen Dank«, sagt er. »Bitte folgen Sie mir.« Und ich spüre, wie der Soldat meinen schlaffen, feuchten, plötzlich schweren Körper trägt. Eine eisige Kälte kriecht in meine Knochen, und ich merke, dass ich zu lange durch den strömenden Regen gerannt bin.
    Ich zittere, aber nicht vor Angst.
    Mir ist heiß, aber nicht vor Wut.
    Ich habe so hohes Fieber, dass ich nicht einmal wüsste, ob ich noch imstande wäre, mich zu wehren. Erstaunlich, auf welch vielfältige Weise ich an diesem Tag zu Tode kommen könnte.
    Anderson riecht würzig und erdig; ich kann ihn riechen, obwohl ich von jemand anderem getragen werde, und der Geruch ist verstörend angenehm. Als die Soldaten mich absetzen, befiehlt er ihnen, wieder auf ihre Posten zurückzukehren. Was in anderen Worten heißt, noch mehr Menschen zu töten.
    Ich glaube, dass ich jetzt Halluzinationen habe.
    Ich sehe einen offenen Kamin von der Sorte, wie ich sie nur aus Büchern kenne. Ein Wohnzimmer mit weichen Sofas und einem dicken Perserteppich. Fotos auf einem Kaminsims, die ich nicht genau erkennen kann. Und Anderson sagt zu mir, ich solle aufwachen, ich müsse baden, ich sei ja wohl recht schmutzig, nicht wahr, und das ginge schließlich nicht, oder? Sie müssen wach und vollkommen bei sich sein, sonst macht das alles keinen Spaß, sagt er. Und ich bin mir recht sicher, dass ich jetzt dabei bin, den Verstand zu verlieren.
    Ich spüre, wie ich wieder hochgenommen und eine Treppe hinaufgetragen werde. Eine quietschende Tür, andere Schritte, und Worte, die ich nicht verstehen kann. Jemand sagt etwas, und ich werde auf kaltem hartem Boden abgelegt.
    Wimmere.
    »Vorsicht, ihre Haut nicht berühren«, verstehe ich jetzt. Und »Bad«, »Schlafen«, »morgen früh«, »nein, glaube ich nicht« und »sehr gut«. Dann schließt sich eine Tür.
    Jemand versucht mir den Anzug auszuziehen.
    Ich reiße so abrupt die Augen auf, dass es weh tut; ein reißender Schmerz in meinem Körper und Kopf, und mir wird plötzlich bewusst, was ich alles durchgemacht habe. Ich habe ewig nicht mehr richtig gegessen und seit über 24 Stunden nicht geschlafen. Ich bin vollkommen durchnässt und ausgekühlt, mein Kopf pocht, mein Körper ist misshandelt worden, und ich habe millionenfache Schmerzen aller Art. Aber ich werde keinem fremden Mann erlauben, mich auszuziehen. Nur über meine Leiche.
    Doch die Stimme, die ich höre, gehört nicht zu einem Mann. Sie klingt weich und sanft, mütterlich. Spricht zu mir in einer Sprache, die ich nicht verstehe, aber vielleicht liegt das auch an meinem Kopf, der nichts mehr begreifen kann. Die Frau macht beruhigende Töne, massiert meinen Rücken in kleinen Kreisen. Ich höre Wasser rauschen und spüre Hitze auf der Haut, das muss Dampf sein, ein Badezimmer, eine Wanne, und mir fällt ein, dass ich zuletzt in Warners Hauptquartier warm duschen konnte.
    Ich versuche die Augen zu öffnen, doch es gelingt mir nicht.
    Ambosse scheinen auf meinen Lidern zu
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