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Requiem: Roman (German Edition)

Requiem: Roman (German Edition)

Titel: Requiem: Roman (German Edition)
Autoren: Eoin McNamee
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plump, aber gewitzt, die Haut vom Wind gerötet. Er trug einen Anzug aus Tweed. Er schüttelte McCrinks Hand und zeigte ihm die aktuelle Ausgabe des Belfast Telegraph. Ein Bild von Pearl Gamble war auf der Titelseite.
    »Schrecklich«, sagte er, »das arme Ding.«
    McCrink verstand den Blick, den ihm West zuwarf, dies standfeste, bestechliche Starren.
    »Gehörte sie zum Glauben der Minderheit?«
    McCrink wusste, worauf West hinauswollte. Die Politik des Mobs, der in der Hoffnung lyncht, der Killer ist Katholik. Unterschicht, versunken in der Abscheulichkeit ihres Glaubens.
    »Der Tanz fand in einer Halle vom Oranier-Orden statt«, sagte McCrink, »damit ist das eher unwahrscheinlich.«
    »Jemand hat ihr auf dem Heimweg aufgelauert?«
    »Sieht ganz so aus.«
    »Sie glauben, der Mann wird gefasst?«
    »Das ist Sache der örtlichen Polizei. Unter Aufsicht des Polizeibezirksinspektors.«
    »Na, dann fangen Sie mal mit Ihrer Aufsicht an. Das ist Ihr Job. Geben Sie dieser Geschichte hier Priorität. Und behalten Sie dabei im Hinterkopf, dass wir keinen zweiten Fall Curran wollen.«
    »So lange wird es nicht dauern.«
    »Das hab ich nicht damit gemeint, Mr McCrink. Ich will, dass Allen den Mann kriegt. Setzen Sie ein Zeichen.«
    »Allen?«
    »Harry Allen. Der Henker. Was auf der Insel klappt, klappt auch bei uns. Wir wollen denen beweisen, dass wir hier den Rechtsstaat aufrechterhalten, furchtlos und fair.«
    Der Terminal war leer, abgesehen von Passagieren, die auf einen verspäteten Charter aus Palma warteten, der auf einem abgelegenen Rollfeld bei drückender Hitze in Spanien festsaß. Draußen meinte McCrink die Lichter von Belfast zu sehen, reflektiert von tief hängenden Wolken im Osten. Richtung Westen wurde die Landschaft von der wachsenden Stadt verdrängt. Während des Krieges war Aldergrove ein Flugfeld gewesen, es hatte sich etwas von der provisorischen Atmosphäre jener Zeit bewahrt, eine windgepeitschte Ebene mit der Ahnung, dass man, achtete man darauf, verlorene Funksprüche im Geknister des Radios hören konnte, gewisperte Geisterworte in den Kopfhörern der Telefonisten. Oscar, Whiskey, Zulu.
    Er stieg in eines der Taxis, die vor dem Flughafengebäude in einer Reihe warteten, und durchquerte im Nieselregen das Gebiet der Mietblöcke von Nutts Corner und Dromara. Abschnitte des alten Flugfeldes wurden als Rennstrecke für Motorräder verwendet, blaue Dunststrähnen hingen in der Abendluft. Sie fuhren durch die wehmütige Nachkriegslandschaft, durch Schlamm, vorbei an Staudämmen aus Flachsfasern, abwärts, dem Meer zu, reihten sich in den späten Abendverkehr in Richtung Stadt ein. Man hatte ihn im International Hotel im Universitätsviertel untergebracht. Der Taxifahrer lud ihn dort um zehn Uhr ab, die Durchgangsstraße war um diese Zeit bis auf einige Paare, die sich auf dem Heimweg befanden, leer gewesen. In der Lounge des Hotels stand ein Fernseher, ein Apparat in einem Möbel, mitten im Raum. Die Bildqualität war schlecht, doch als McCrink hörte, dass der Nachrichtensprecher Pearl Gamble erwähnte, setzte er sich aufrecht hin. Auf dem Bildschirm war Weir’s Rock zu sehen, der Tatort. Die flackernden Anfänge des Fernsehens. Die Textur der Bilder war ganz anders verglichen mit den Fotos der Schauplätze von Verbrechen, mit denen er es sonst zu tun hatte. Mit deren praktischer Größe von sechs mal zehn, mit der dunklen, sachlichen Faszination für die Sache, die sie abbildeten. Die zusammengekrümmten Toten. Ihre erstarrten Posen. Düster, dunkel gestimmt.
    McCrink verließ das Hotel und ging am Botanischen Garten entlang. Er passierte das Ende einer schmalen Querstraße. Aus der Dunkelheit gab ihm eine Frau Zeichen. Sie war in den Vierzigern, und ihr Atem roch nach Gin, doch in der Milde des späten Abends wirkte sie melancholisch und selbstlos, wurde sie zur Archivarin der Erregung und des Verlangens, die Verkörperung des fleischlichen Gedächtnisses der Stadt.
    Er ging ins Hotel York. Er bestellte ein großes helles Bier und setzte sich in eine Nische seitlich der Bar. Die Gäste waren mittleren Alters, die Männer trugen Blazer mit den Namen von Rugby- und Tennisvereinen auf den Brusttaschen. Er sah Vereinskrawatten und Clubwappen. McCrink kannte sich mit dieser Gesellschaft aus, wusste um die Bedeutung der Embleme und Zugehörigkeit, der kodierten Strukturen, die sich fortwährend veränderten. Er hörte herzhaftes Lachen aus der Gruppe an der Bar. Es hing alles davon ab, aus welchem Holz man
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