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Requiem: Roman (German Edition)

Requiem: Roman (German Edition)

Titel: Requiem: Roman (German Edition)
Autoren: Eoin McNamee
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ebenfalls nicht missbraucht worden. Zeugen des Prozesses gegen den Mann, der des Mordes an Patricia angeklagt war, hatten berichtet, Richter Curran habe damals bemerkt: »Gott sei Dank gab es keinen Verkehr«.
    Als McGladdery verhaftet wurde, hatte er frische Verletzungen an den Händen. Curran befragte ihn ausführlich nach ihrer Herkunft, und McGladdery erklärte, sie stammten von den Werkzeugen, die er in seiner Ausbildung zum Schuhmacher bei einem Schuster namens Mervyn Graham benutzte. Die Befragung lenkte die Aufmerksamkeit auf einen wichtigen Aspekt der Anklage – die Behauptung, dass Pearl mit einer Feile erstochen worden war, wie Schuster sie verwendeten.
    Heute liegt der damalige Tatort an einer Kreuzung, an die auf einer Seite ein Einkaufszentrum grenzt. Der Ort wirkt düster und verloren. Foster Newell’s Warenhaus, in dem Pearl arbeitete, ist 1974 von einer Brandbombe zerstört worden. Die Verzierungen aus Messing und der Stuck sind verschwunden, die Kleiderständer und Auslagen mit Damenwäsche von den Flammen verschlungen worden. Flammenwirbel, die in der Nacht der Brandstiftung in die Höhe loderten. Auf der Nordseite des Bahndammes ist ein großer Gospelsaal erbaut worden. Das Haus der Gottesfürchtigen. An der Giebelwand des Gebäudes stehen Bibelzitate. Der Tod ist der Lohn der Sünde. Auf einer nahen Brücke rollen Züge vorbei. Dieselwolken hängen in der Luft.
    Pearl Gamble wurde auf dem Friends Meeting House-Friedhof beigesetzt. Der Gottesacker liegt auf dem Hang, von dem man auf die North Street und den Meeresarm hinunterblickt. Die Old North Street wurde 1963 weggerissen und machte einer Schnellstraße und Mietblocks Platz.
    Deren heruntergekommene, modernistische Fassaden mit Wäsche auf den Balkonen verbergen den Friedhof. Abgasschwaden hängen in der Luft. Eine Zeile der früheren Gebäude ist stehen geblieben, wie um den Niedergang der Geschäfte zu illustrieren. In der zweiten Etage über einem Herrensalon sind ausgeblichene Lettern zu erkennen, die zeigen, das Gebäude war einmal ein Hotel der Abstinenzler. Die gespenstische Verurteilung von Begierde und Exzess. Der Verkehr fließt vorbei. Am ersten Tag der Verhandlung war ein offizielles Foto von Curran in der lokalen Presse erschienen. Zur Eröffnung des Assize, des nordirischen Geschworenengerichts, in Downpatrick erhielt Curran ein Ehrenspalier vom Ersten Bataillon des Royal Sussex Regiments. Curran trägt das Gewand eines Richters des High Court. Die Halbperücke aus Rosshaar. Ein gestärktes weißes Halsband, das bis über das Brustbein reicht. Über der Schulter eine tiefrote Soutane mit Hermelinkragen, darunter ein rotes knöchellanges Gewand. Hinter ihm steht ein Gerichtsdiener, der einen Schirm über ihn hält. Die plissierten Falten der Soutane fallen perfekt. Man erkennt die nach unten gezogenen Mundwinkel, eine Eigenart, die auch seine ermordete Tochter hatte. Seine Gesichtszüge sind erstarrt. Eine Eminenz. Ein Kardinal in Soutane an der Spitze einer unheilvollen Ordensgemeinschaft.
    Der Gerichtsdiener befahl dem Gericht, sich zu erheben, und Richter Curran trat ein.

Eins
    Montag, 30. Januar 1961
    E ddie McCrinks Flug aus Heathrow landete um 20 Uhr 15. Er liebte es, die Augen zu schließen, wenn er in der Luft war, und sich den Radarschirm der Luftüberwachung vorzustellen. Das Tempo, die Geschwindigkeit, überwacht von Leuten mit Kopfhörern in schwach beleuchteten Räumen, die knappen, kurz gefassten Sätze, die zwischen dem Tower und der Besatzung ausgetauscht werden. Konzentrierte Peilung. Westwärts. Nordwärts. McCrink fragte sich, ob es um das Reisen an sich ging. Darum, abzuheben. Um die Entfernung zwischen Landestützpunkten, radargestützte Kontrolle. Die Flugzeuge, die die Monitore überquerten, und ihre geisterhaften Spuren, die sie zurückließen, hatten etwas Mystisches.
    McCrink hatte fünfzehn Jahre in London gearbeitet und war ins Morddezernat aufgestiegen, bevor man ihn auserkoren hatte, die freie Inspektorenstelle des Belfaster Polizeibezirks zu übernehmen. Als er sich für den Job bewarb, hatte er offizielle Aufnahmegespräche erwartet, doch stattdessen war er von Harry West, einem prominenten Mitglied der Regierung im Stormont, in den Cavendish Club bestellt worden. Es ging das Gerücht, dass West für den Bau einer Schnellstraße Land aufgekauft hatte, bevor der Bebauungsplan geändert wurde. Bevor Gemeindegrenzen neu gezogen wurden. McCrink traf ihn im Foyer. West sah aus wie ein Mann vom Land,
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