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Reptilia

Reptilia

Titel: Reptilia
Autoren: Thomas Thiemeyer
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Heimat lag. Egomo nickte ernsthaft, dann griff er in seinen Umhängebeutel und holte ein Stück Wurzel heraus, an dem er herumgeschnitzt hatte. Nach einer Weile entdeckte ich eine Form in dem braunen Holz. Zwei ineinander verschlungene Figuren.
    Er drückte mir die Wurzel in die Hand und gab mir zu verstehen, dass ich sie beim Schlafen unter meinen Kopf legen sollte, wenn ich ihn Wiedersehen wollte. Er lächelte. Ich lächelte zurück, obwohl mir eher nach Heulen zumute war.
    Dann kam der Augenblick der Trennung. Auch in Elieshis Augen sah ich Tränen glitzern.
    »Tja, ich denke, es wird dann Zeit für uns«, murmelte ich verlegen. Ich nahm Egomo in den Arm und drückte ihn. Elieshi tat es mir gleich und gab ihm zum Abschied einen Kuss auf die Wange. »Leb wohl, Egomo, und danke für alles«, sagte sie. Dann berührte sie meine Hand, und zusammen gingen wir zu unserem Schlauchboot. Wir hatten nur das gepackt, was uns für die einwöchige Reise nach Brazzaville sinnvoll erschien, trotzdem hatte sich einiges angesammelt. Hauptsächlich Nahrungsmittel und Treibstoff, aber auch persönliche Dinge, wie Maloneys Fotoapparat, Emilys Tagebuch und die Notizen des Sergeanten Matubo.
    Egomo stand am Ufer und sah uns zu, wie wir uns ins Boot zwängten. Ich quetschte mich neben den Außenborder, regulierte die Treibstoffzufuhr und zog dann das Starterkabel. Mit einem Husten und unter Ausstoß einer bläulichen Abgaswolke sprang der Motor an.
    »Leb wohl, mein Freund«, rief ich und hob den Arm, während wir langsam auf den See hinaustuckerten. »Und erzähl deiner Familie von uns.« Der Pygmäe stand am Ufer und winkte zurück, während er zusehends kleiner wurde.
    »Eines ist doch tröstlich«, sagte Elieshi. »Sobald er uns nicht mehr sieht, existieren wir nicht mehr für ihn. Dann sind wir Teil seiner Welt aus Legenden und Mythen.«
    Wir waren etwa hundert Meter vom Ufer entfernt, als sie mich am Arm packte. »Sieh nur«, sagte sie. »Was ist denn mit Egomo los? Ich glaube, er will uns etwas mitteilen.«
    Ich blickte ans Ufer und sah, dass ihn irgendetwas in beträchtliche Aufregung versetzte. Er fuchtelte wild mit den Armen und deutete immer wieder nach links. Elieshi griff nach ihrem Fernglas und suchte das Ufer ab. Plötzlich stieß sie einen Schrei der Überraschung aus.
    »Sieh dir das an, David«, keuchte sie aufgeregt, während sie nach der Kamera griff. »Sieh dir das an. Da drüben, gleich neben der Bananenstaude.«
    Ich presste das Glas an meine Augen und justierte die Schärfe. Plötzlich sah ich ihn. Da stand ein Elefant am Wasser. Aber es war ein Winzling von einem Elefanten, kaum größer als ein Schwein. Dennoch sah er nicht aus wie ein Jungtier.
    »Loxodon pumilio«, rief Elieshi vergnügt und drückte ein paarmal auf den Auslöser der Kamera. »Ein Zwergelefant. Das Tier, von dem niemand geglaubt hat, dass es wirklich existiert, außer mir und Egomo. Ich fasse es nicht. Jetzt haben wir ihn doch noch gesehen. Danke, Egomo, danke!« Sie quietschte vor Vergnügen und wedelte wild mit den Armen.
    Der Pygmäe hob seinen Arm und winkte uns ein letztes Mal zurück. Dann drehte er sich um und verschwand im immergrünen Laub des Waldes.

37
    Mittwoch, 3. März
    Kalifornische Küste
     
    Die Wellen des Pazifik brandeten mit einem regelmäßigen , ruhigen Herzschlag gegen die Felsen. Gischt lag in der Luft. Der Wind trug das Geschrei der Möwen und den Duft von Seetang mit sich. Sarah stand neben mir und hielt meine Hand, während wir gemeinsam über die weißen Wellenkronen blickten, dorthin, wo Himmel und Wasser zu einer leuchtenden Linie verschmolzen. Ich war im Herzen der Finsternis gewesen und zurückgekehrt. Um die halbe Welt halte ich reisen müssen, um zu mir selbst zu finden. Hier, am Rande des größten Ozeans der Welt, war ich am Ziel. Ich begann zu spüren, worum ich Sarah immer beneidet hatte. Die tiefe Zuversicht, dass sich die Dinge so entfalten würden, wie es am besten war. Endlich hatte ich keine Angst mehr.
    Sarah sah mich von der Seite an, als verstünde sie genau, was in mir vorging. Ihr Haar flatterte im Wind und ein Lächeln lag auf ihrem Gesicht, während sie sich der Sonne zuwandte.
    Ich hatte sie vor fünf Tagen, gleich nach unserer Ankunft in Brazzaville, angerufen. Sie hatte alles stehen und liegen lassen, um Elieshi und mich auf unserem Weg nach Kalifornien zu begleiten. Als wir uns in der Lobby des Londoner Flughafens Gatwick in die Arme gefallen waren, hatte sie mir auf ihre unnachahmliche
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