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Reizende Gäste: Roman (German Edition)

Reizende Gäste: Roman (German Edition)

Titel: Reizende Gäste: Roman (German Edition)
Autoren: Sophie Kinsella
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Maurice Snowfield.«
    Drei Monate war sie mit Maurice Snowfield zusammengewesen. Ganz so reich, wie Fleur es sich erhofft hatte, war er zwar nicht, und seine sanfte, geistesabwesende Art hatte sie fast zum Wahnsinn getrieben. Aber als sie sein Haus in Wiltshire verließ, da hatte sie ihm genug Geld abgeknöpft, um im voraus zwei Schulsemester ihrer Tochter Zara bezahlen zu können, und verfügte über eine brandneue Garderobe schwarzer Kostüme.
    »… till all thy creatures own thy sway.« In der Kirche raschelte es, als alle ihre Liederbücher schlossen, Platz nahmen und das Programm konsultierten. Fleur nahm die Gelegenheit wahr, um ihre Handtasche zu öffnen und einen Blick auf den kleinen Zeitungsausschnitt zu werfen, den Johnny ihr geschickt hatte. Darauf wurde der Gedenkgottesdienst für Emily Favour am 20. April in der St. Anselmkirche angekündigt. »Ein guter Tip«, hatte Johnny gekritzelt. »Richard Favour, sehr reich, sehr ruhig.«
    Fleur spähte zur vordersten Reihe. Sie konnte den Mann mit dem schwammigen Gesicht sehen, der die erste Rede gehalten hatte, und neben ihm eine unscheinbare blonde Frau mit einem gräßlichen Hut. Außerdem saß dort ein Junge im Teenageralter und eine ältere Frau mit einem sogar noch entsetzlicheren Hut … Fleurs Blick wanderte rasch weiter und hielt dann inne. Am anderen Ende der Kirchenbank saß ein unauffälliger, ergrauender Mann. Er saß vorgebeugt, die Schultern hochgezogen, den Kopf auf die Banklehne vor ihm gelegt.
    Eine Weile beäugte sie ihn kritisch. Nein, er heuchelte nicht nur – er hatte seine Frau geliebt. Er vermißte sie. Und, nach seiner Körpersprache zu urteilen, sprach er mit seiner Familie nicht darüber.
    Was die Dinge sehr vereinfachte. Die wahrhaft Betrübten waren die leichtesten Angriffsziele – die Männer, die sich nicht vorstellen konnten, sich je wieder zu verlieben; die ihren verstorbenen Ehefrauen ewige Treue schworen. Nach Fleurs Erfahrung bedeutete das einzig, daß sie, wenn sie sich in sie verliebten, überzeugt davon waren, daß es die wahre Liebe sein müsse.
    Man hatte Richard gefragt, ob er die Lobrede halten wolle.
    »Sie müssen ja daran gewöhnt sein, Reden zu halten«, hatte der Vikar gemeint, »geschäftliche Reden. Viel anders ist das auch nicht – nur eine Beschreibung des Charakters ihrer Frau, vielleicht ein oder zwei Anekdoten, eine Erwähnung der wohltätigen Einrichtungen, für die sie sich eingesetzt hat, irgend etwas, was die Gemeinde an die wahre Emily erinnert …« Angesichts Richards plötzlicher düsterer Miene verstummte er und fügte freundlich hinzu: »Sie müssen aber nicht, vielleicht würde sie das Ganze zu sehr mitnehmen?«
    Richard hatte genickt.
    »Ich glaube, da haben Sie recht«, stammelte er.
    »Durchaus verständlich«, hatte sich der Vikar zu sagen beeilt. »Da sind Sie nicht allein.«
    Aber er war allein, hatte Richard im stillen gedacht. Allein mit seinem Schmerz; allein mit dem Wissen, daß seine Frau gestorben war und bis auf ihn niemand je begreifen würde, wie wenig er sie gekannt hatte. Die Einsamkeit, die er während der Ehe verspürt hatte, schien ihm nun auf unerträgliche Weise gesteigert; destilliert in eine Bitterkeit, die der Wut nicht unähnlich war. Die wahre Emily! hätte er am liebsten gebrüllt. Was wußte ich schon je von der wahren Emily?
    So war die Aufgabe der Lobrede auf ihren alten Freund Alec Kershaw gefallen. Richard setzte sich gerade auf, als Alec auf das Pult zusteuerte, die weißen Kärtchen vor sich zusammenklopfte und über seine randlose, halbmondförmige Brille auf die Gemeinde blickte.
    »Emily Favour war eine tapfere, charmante und großzügige Frau«, begann er mit erhobener, förmlicher Stimme. »Nur ihr Mitgefühl und ihre Hilfsbereitschaft reichten an ihr Pflichtgefühl heran.«
    Alec hielt inne und warf Richard einen Blick zu. Als dieser Alecs Gesichtsausdruck sah, fiel es ihm plötzlich wie Schuppen von den Augen. Auch Alec hatte Emily nicht wirklich gekannt. Diese Worte waren hohl; abgedroschen – sollten eher ihren Zweck erfüllen als die Wahrheit sagen.
    In Richard stieg ein lächerliches Angstgefühl hoch, ja, fast Panik. Wenn diese Lobrede erst einmal gehört, der Gottesdienst erst einmal beendet war und die Gemeinde die Kirche verlassen hatte, dann hatte es sich damit. Das würde die offizielle Version von Emilys Charakter sein. Ende der Geschichte. Akte geschlossen; nichts mehr zu erfahren. Konnte er das ertragen? Konnte er damit leben, daß seine
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