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Reisetagebuecher

Reisetagebuecher

Titel: Reisetagebuecher
Autoren: Franz Kafka
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links. Brescia, Kremona, Verona. Menschen drin wie Wachspuppen an den Sohlen im Boden im Pflaster befestigt. Grabdenkmäler: eine Dame mit über eine niedrige Treppe schleifender Schleppe öffnet ein wenig eine Tür und schaut noch zurück dabei. Eine Familie, vorn liest ein Junge eine Hand an der Schläfe, ein Knabe rechts spannt einen unbesaiteten Bogen.
    Denkmal des Helden Tito Speri: verwahrlost und begeistert wehen ihm die Kleider um den Leib.
    Bluse, breiter Hut. Die Bilder lebendiger als im Kinematographen, weil sie dem Blick die Ruhe der Wirklichkeit lassen. Der Kinematograph gibt dem Angeschauten die Unruhe ihrer Bewegung, die Ruhe des Blickes scheint wichtiger. Glatter Boden der Kathedralen vor unserer Zunge. Warum gibt es keine Vereinigung von Kinema und Stereoskop in dieser Weise? Plakate mit Pilsen Wihrer aus Brescia bekannt. Die Entfernung zwischen bloßem Erzählenhören und Panorama sehn ist größer, als die Entfernung zwischen Letzterem und dem Sehn der Wirklichkeit. Alteisenmarkt in Kremona.
    Wollte am Schluß dem alten Herrn sagen, wie gut es mir gefallen hatte, wagte es nicht. Bekam das nächste Programm. Offen von 10 Uhr bis 10 Uhr.

    Ich hatte in der Auslage des Buchladens den "literarischen Ratgeber" des Dürerbundes bemerkt.
    Beschloß ihn zu kaufen, änderte ihn dann wieder, kam nochmals darauf zurück, während dessen ich oftmals zu allen Tageszeiten vor der Auslage stehen blieb. So verlassen schien mir der Buchladen, die Bücher so verlassen. Den Zusammenhang der Welt mit Friedland fühlte ich nur hier und da war er so dünn. Aber wie jede Verlassenheit mir wieder Wärme erzeugt, so fühlte ich rasch auch das Glück dieses Buchladens und einmal gieng ich hinein, schon um das Innere zu sehn. Weil man dort wissenschaftliche Werke nicht braucht, sah es in den Regalen fast belletristischer aus als in den städtischen Buchläden. Eine alte Dame saß unter einer grünüberdachten Glühlampe. Vier, fünf eben ausgepackte Kunstwarthefte erinnerten mich daran, daß es Monatsanfang war. Die Frau zog meine Hilfe ablehnend das Buch, von dessen Dasein sie kaum wußte aus der Auslage heraus, gab es mir in die Hand, wunderte sich daß ich es hinter der vereisten Scheibe bemerkt hatte (ich hatte es ja schon früher gesehn) und fing in den Geschäftsbüchern den Preis zu suchen an, denn sie kannte ihn nicht und ihr Mann war weg. Ich werde später abend kommen, sagte ich (es war 5 Uhr nachmittag) hielt aber mein Wort nicht.

    Reichenberg:

    Über die eigentliche Absicht von Personen, die am Abend in einer Kleinstadt rasch gehn, ist man ganz im Unklaren. Wohnen sie außerhalb, dann müssen sie doch die Elektrische benützen weil die Entfernungen zu groß sind. Wohnen sie aber im Ort selbst, dann gibt es ja wieder keine Entfernungen und keinen Grund zum schnellen Gehn. Und doch kreuzen Leute mit gestreckten Beinen diesen Ringplatz, der für ein Dorf nicht zu groß wäre und dessen Rathaus durch seine unvermittelte Größe ihn noch kleiner macht (mit seinem Schatten kann es ihn reichlich bedecken) während man von dem kleinen Platze aus der Größe des Rathauses nicht recht glauben will und den ersten Eindruck seiner Größe mit der Kleinheit des Platzes erklären möchte.

    Ein Polizeimann weiß die Adresse der Arbeiterkrankenkassa, ein anderer jene der Anstaltsexpositur nicht, ein dritter weiß nicht einmal wo die Johannesgasse ist. Sie erklären es damit, daß sie erst kurze Zeit im Dienste sind. Wegen einer Adresse muß ich auf die Wachstube, wo genug Polizeileute auf verschiedene Art sich ausruhn, alle in Uniformen, deren Schönheit, Neuheit und Farbigkeit berrascht, da man sonst überall auf der Gasse nur die dunklen Wintermäntel sieht.

    In den engen Gassen konnte nur ein Geleise gelegt werden. Die Elektrische zum Bahnhof fährt daher durch andere Gassen, als jene vom Bahnhof. Vom Bahnhof durch die Wiener Straße, dort wohnte ich im Hotel Eiche, zum Bahnhof durch die Schückerstraße.

    4
    Im Teater dreimal immer ausverkauft: Des Meeres u. der Liebe Wellen: ich saß auf dem Balkon, ein allzu guter Schauspieler macht mit dem Naukleros zu viel Lärm, ich hatte mehrmals Tränen in den Augen so beim Schluß des ersten Aktes als die Augen Heros und Leanders von einander nicht los können. Hero tritt aus der Tempeltür, durch die man etwas sieht was nichts anderes als ein Eiskasten sein kann. Im zweiten Akt Wald wie in frühern Prachtausgaben, er geht ans Herz, Lianen schlingen sich von Baum zu Baum. Alles
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