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Reisen im Skriptorium

Reisen im Skriptorium

Titel: Reisen im Skriptorium
Autoren: Paul Auster
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will, ein Engel in Gestalt einer Frau.
    Warum sind Sie so freundlich zu mir?, fragt er.
    Weil ich Sie liebe, sagt Anna. So einfach ist das.
    Schließlich ist die Mahlzeit beendet, und es ist Zeit für die nächsten Punkte: das Ausscheiden, das Waschen, das Anziehen. Anna schiebt den Rollwagen beiseite und streckt die Hand aus, um Mr.   Blank auf die Beine zu helfen. Zu seiner großen Verblüffung steht er plötzlich vor einer Tür, einer Tür, die ihm bis dahin entgangen war, und auf dem weißen Klebstreifen, der daran befestigt ist, steht das Wort BAD. Mr.   Blank fragt sich, wie erdie Tür hat übersehen können, denn sie ist nur wenige Schritte von seinem Bett entfernt, aber wie der Leser bereits erfahren hat, ist er mit den Gedanken meist woanders gewesen, in einem Nebelland voller geisterhafter Wesen und zerbrochener Erinnerungen, auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage, die ihn nicht loslässt.
    Müssen Sie gehen?, fragt Anna.
    Gehen?, sagt er. Wohin?
    Ins Bad. Möchten Sie die Toilette aufsuchen?
    Ah. Die Toilette. Ja. Jetzt, wo Sie es erwähnen, scheint mir das eine gute Idee zu sein.
    Soll ich Ihnen dabei helfen, oder kommen Sie allein zurecht?
    Ich bin mir nicht sicher. Lassen Sie es mich versuchen, dann sehen wir weiter.
    Anna dreht für ihn den weißen Porzellanknauf, und die Tür öffnet sich. Mr.   Blank schlurft in den weißen, fensterlosen Raum mit den schwarzweißen Bodenfliesen, Anna schließt hinter ihm die Tür, und Mr.   Blank steht erst einmal eine Zeitlang da. In den Anblick der weißen Toilette an der hinteren Wand versunken, fühlt er sich plötzlich einsam und verlassen und sehnt sich nach Annas Gesellschaft zurück. Dann murmelt er sich zu: Reiß dich zusammen, Alter. Du führst dich auf wie ein Kind. Dennoch, als er zur Toilette schlurft und die Pyjamahose nach unten streift, bricht er beinahe in Tränen aus.
    Die Hose fällt ihm um die Knöchel; er lässt sich aufdie Toilette nieder; Blase und Därme bereiten sich auf die Entleerung aufgestauter Flüssigkeiten und Feststoffe vor. Urin fließt aus seinem Penis, ein Stück Kot und dann ein zweites gleitet aus seinem Anus, und es tut so gut, sich auf diese Weise zu erleichtern, dass er den Kummer vergisst, der ihn noch wenige Augenblicke zuvor überwältigt hat. Natürlich kommt er allein zurecht, sagt er sich. Schließlich macht er das schon, seit er ein kleiner Junge war, und wenn es ums Pissen und Scheißen geht, ist er so gut wie jeder andere auf der Welt. Und nicht nur das, er ist auch ein Meister im Arschabwischen.
    Gönnen wir Mr.   Blank seine Minute der Hybris, denn so erfolgreich er den ersten Teil der Unternehmung hinter sich bringt, so schlecht ergeht es ihm beim zweiten. Er hat wenig Mühe, sich von der Brille zu erheben und die Spülung zu betätigen, doch während er das tut, bemerkt er, dass die Hose ihm immer noch um die Knöchel liegt, und um sie heraufzuziehen, um den Bund mit den Händen zu fassen zu bekommen, muss er sich entweder bücken oder in die Knie gehen. Beides fällt ihm heute ziemlich schwer, aber das Bücken macht ihm noch ein wenig mehr Sorgen als das andere, denn er ahnt, dass er, sobald er den Kopf hinunterbeugt, das Gleichgewicht verlieren wird, und fürchtet, dass er, falls er tatsächlich das Gleichgewicht verlieren sollte, zu Boden stürzen und sich auf den schwarzweißen Fliesen den Schädel einschlagen könnte. Er kommt daher zudem Schluss, in die Knie zu gehen sei das kleinere der beiden Übel, auch wenn er ganz und gar nicht davon überzeugt ist, dass seine Knie diese Belastung aushalten können. Wir werden nie erfahren, ob sie es können oder nicht. Alarmiert vom Geräusch der Toilettenspülung, öffnet Anna, zweifellos in der Annahme, Mr.   Blank habe sein Geschäft erledigt, die Tür und tritt ins Bad.
    Man könnte meinen, es sei Mr.   Blank peinlich, in einer so kompromittierenden Haltung ertappt zu werden (mit herabgelassener Hose vor der Toilette, sein schlaffer Penis zwischen den nackten, dürren Beinen), dies aber ist nicht der Fall. Mr.   Blank empfindet vor Anna keine falsche Scham. Im Grunde lässt er sie nur allzu gern sehen, was es da zu sehen gibt, und statt sich hastig hinzuhocken und die Pyjamahose hochzuziehen, knöpft er das Oberteil des Schlafanzugs auf, um auch noch dieses abzulegen.
    Ich würde jetzt gern mein Bad nehmen, sagt er.
    Ein richtiges Bad in der Wanne, fragt sie, oder nur abseifen?
    Das ist mir gleich. Entscheiden Sie selbst.
    Anna sieht auf die Uhr und
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