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Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan.
Autoren: Carlos Castaneda
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verwurzelt. Ohne dies, so glaubte ich aufrichtig, hätte mein Leben keine Kontinuität und keinen Sinn.
    »Vielleicht solltest du mir sagen, was du darunter verstehst, die persönliche Geschichte aufzugeben«, sagte ich. »Sie abtun, das ist's was ich meine«, antwortete er scharf. Ich beharrte darauf, daß ich ihn wohl nicht richtig verstanden hätte. »Du zum Beispiel«, sagte ich, »du bist ein Yaqui, das kannst du nicht ändern.«
»Bin ich das?« fragte er lächelnd. »Woher weißt du das?«
»Richtig!« sagte ich. »Im Augenblick kann ich dies nicht mit Sicherheit wissen, - aber du weißt es, und das allein zählt. Das ist es, was die persönliche Geschichte ausmacht.« Damit hatte ich ihn, wie ich glaubte, festgenagelt. »Die Tatsache, daß ich weiß, ob ich ein Yaqui bin oder nicht, macht noch keine persönliche Geschichte aus«, antwortete er. »Nur wenn ein anderer es weiß, wird es zur persönlichen Geschichte. Und ich versichere dir, daß niemals jemand dies mit Bestimmtheit wissen wird.«
    Ich hatte mitgeschrieben, was er so umständlich ausdrückte. Ich hörte auf zu schreiben und sah ihn an. Ich verstand ihn nicht. Im Geist ging ich die Bilder durch, die ich von ihm hatte: die geheimnisvolle und unerhörte Art, wie er mich bei unserer ersten Begegnung angesehen hatte; der Charme, mit dem er behauptet hatte, daß alle Dinge um ihn her ihm zustimmten; sein unbequemer Humor und seine Beweglichkeit; sein gutgläubig törichter Ausdruck, als ich ihn nach seinem Vater und seiner Mutter fragte, und dann der unerwartete Nachdruck seiner Äußerungen, der mich in Verlegenheit gebracht hatte.
    »Du weißt nicht, was ich bin, nicht wahr?« sagte er, als könne er meine Gedanken lesen. »Du wirst niemals wissen, wer oder was ich bin, weil ich keine persönliche Geschichte habe.« Er fragte mich nach meinem Vater, und ich sagte ihm, er sei noch am Leben. Er sagte, mein Vater sei ein Beispiel für das, was er meinte. Er verlangte, ich solle mir ins Gedächtnis rufen, was mein Vater über mich dachte. »Dein Vater weiß alles von dir«, sagte er. »Er durchschaut dich völlig. Er weiß, wer du bist und was du tust, und keine Macht der Welt kann ihn dazu bringen, seine Meinung über dich zu ändern.«
    Jeder, der mich kennt, meinte Don Juan, hege eine gewisse Vorstellung von mir und ich würde diese Vorstellung mit allem was ich tue, ständig nähren. »Siehst du nun«, fragte er eindringlich, »du mußt deine persönliche Geschichte bestätigen, indem du deinen Eltern, deinen Verwandten und deinen Freunden alles, was du tust, erzählst. Wenn du dagegen keine persönliche Geschichte hast, sind keine Erklärungen notwendig; niemand ist über deine Handlungen böse oder enttäuscht. Und vor allem kann dich niemand mit seinen Gedanken festlegen.«
    Plötzlich begann ich diese Vorstellung zu begreifen. Fast wäre ich selbst darauf gekommen, aber ich war ihr nie genauer nachgegangen. Keine persönliche Geschichte zu haben, das war tatsächlich ein verlockender Gedanke, zumindest auf intellektueller Ebene; er gab mir jedoch ein Gefühl der Einsamkeit, das ich als bedauerlich und unangenehm empfand. Ich wollte mit Don Juan über dieses Gefühl sprechen, aber ich hielt mich zurück; die ganze Situation hatte irgendwie etwas furchtbar Ungereimtes. Ich kam mir albern vor, wie ich da versuchte, einen philosophischen Disput mit einem alten Indianer anzufangen, der offenbar nicht die »intellektuelle Bildung« eines Universitätsstudenten besaß. Irgendwie hatte er mich von meiner ursprünglichen Absicht abgelenkt, ihn nach seiner Genealogie zu befragen.
    »Wie kommt es, daß wir über diese Dinge sprechen, wo ich dich doch nur nach ein paar Namen für meine Tabellen fragen wollte?« sagte ich und versuchte damit, die Unterhaltung auf mein Thema zurückzubringen.
    »Ganz einfach«, sagte er, »wir sind darauf gekommen, weil ich sagte, daß es Quatsch ist, jemanden nach seiner Vergangenheit zu fragen.«
    Er sprach mit Bestimmtheit. Ich hatte den Eindruck, daß nichts ihn zum Nachgeben bringen konnte, daher änderte ich meine Taktik.
    »Ist der Gedanke, keine persönliche Geschichte zu haben, etwas, woran die Yaquis glauben?« fragte ich. »Es ist etwas, woran ich glaube.«
»Wo hast du das gelernt?«
»Ich habe es im Lauf meines Lebens gelernt.«
»Hat dein Vater es dich gelehrt?«
»Nein. Sagen wir, ich habe es von selbst gelernt, und jetzt vertraue ich dir das Geheimnis an, damit du heute nicht mit leeren Händen fortgehst.« Er
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