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Reise nach Ixtlan.

Reise nach Ixtlan.

Titel: Reise nach Ixtlan.
Autoren: Carlos Castaneda
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senkte die Stimme zu einem dramatischen Flüstern. Ich lachte Über seine Schauspielerei. Ich mußte zugeben, daß er darin erstaunliche Fähigkeiten hatte. Mir kam der Gedanke in den Sinn, daß ich es mit einem geborenen Schauspieler zu tun hatte. »Schreib es auf«, sagte er gönnerhaft. »Warum auch nicht? Anscheinend fühlst du dich besser, wenn du schreibst.« Ich sah ihn an, und meine Augen müssen meine Verwirrung wohl verraten haben. Er schlug sich auf die Schenkel und lachte vor Vergnügen.
    »Es ist das beste, die ganze persönliche Geschichte auszulöschen«, sagte er langsam, als wollte er mir Zeit geben, sorgfältig mitzuschreiben, »weil uns das von den belastenden Gedanken der anderen befreit.«
    Ich konnte nicht glauben, daß er dies wirklich sagte. Einen Moment war ich sehr verwirrt. Er mußte mir meinen inneren Aufruhr vom Gesicht abgelesen haben, und sogleich hakte er ein: »Sieh dich an, zum Beispiel«, fuhr er fort. »Du weißt im Augenblick nicht, woran du mit mir bist. Und das liegt daran, daß ich meine persönliche Geschichte ausgelöscht habe. Nach und nach habe ich einen Nebel um mich und mein Leben erzeugt, und jetzt weiß niemand mit Sicherheit, wer ich bin und was ich tu.«
»Aber du selbst weißt doch, wer du bist, nicht wahr?« warf ich ein. »Verlaß dich drauf! Ich. weiß es nicht!« rief er und wälzte sich, über mein überraschtes Gesicht lachend, auf dem Boden. Er hatte eine Pause gemacht, lang genug, um mich glauben zu lassen, daß er gleich, wie ich es erwartete, sagen würde, er wisse es wohl. Seine List erschien mir bedrohlich. Ich bekam tatsächlich Angst. »Das ist das kleine Geheimnis, das ich dir heute anvertrauen will«, sagte er leise. »Niemand kennt meine persönliche Geschichte. Niemand weiß, wer ich bin oder was ich tu. Nicht mal ich selbst.«
    Er kniff die Augen zusammen. Er sah mich nicht an, vielmehr blickte er über meine rechte Schulter an mir vorbei. Er saß mit gekreuzten Beinen, sein Rücken war gestreckt und trotzdem wirkte er sehr entspannt. In diesem Augenblick bot er den Anblick reiner Wildheit. Ich stellte ihn mir als Indianerhäuptling, als einen »rothäutigen Krieger« aus den romantischen Pioniergeschichten meiner Kindheit vor. Meine romantische Stimmung trug mich fort, und ein ganz infames Gefühl der Ambivalenz ergriff von mir Besitz. Ich konnte aufrichtig sagen, daß ich ihn sehr gern hatte, und im gleichen Atemzug konnte ich behaupten, daß ich mich vor ihm zu Tode fürchtete.
    Lange behielt er diesen seltsamen, starren Blick. »Wie soll ich wissen, wer ich bin, wenn ich all das bin?« sagte er und wies mit einer Kopfbewegung auf die Umgebung. Dann sah er mich an und lächelte.
    »Nach und nach mußt du einen Nebel um dich her schaffen, du mußt alles um dich her auslöschen, bis nichts mehr als erwiesen, als sicher oder wirklich gelten kann. Jetzt hast du die Schwierigkeit, daß du zu wirklich bist. Dein Streben ist zu wirklich. Deine Stimmungen sind zu wirklich. Du sollst die Dinge nicht für erwiesen halten. Du mußt beginnen, dich selbst auszulöschen.«
»Wozu aber?« fragte ich streitlustig. Dann wurde mir klar, daß er mir mein Verhalten vorzuschreiben suchte. Mein Leben lang hatte es Konflikte gegeben, wenn jemand versuchte, mir zu sagen, was ich tun sollte. Der bloße Gedanke daran, daß jemand mir sagte, was ich tun solle, brachte mich sofort in die Defensive.
    »Du sagtest doch, daß du etwas über Pflanzen lernen willst«, sagte er ruhig. »Willst du etwas umsonst bekommen? Wie stellst du dir das vor? Wir sind übereingekommen, daß du mir Fragen stellen darfst und ich dir sagen werde, was ich weiß. Wenn es dir nicht gefällt, dann haben wir uns nichts mehr zu sagen.« Seine unerhörte Direktheit verdroß mich, und widerwillig mußte ich zugeben, daß er recht hatte.
    »Laß es uns so sagen«, fuhr er fort. »Wenn du etwas über Pflanzen erfahren willst, dann mußt du, da es wirklich nichts über sie zu sagen gibt, unter anderem lernen, deine persönliche Geschichte auszulöschen.« «Wie denn?« fragte ich. »Fang mit einfachen Dingen an, etwa indem du nicht zu erkennen  gibst, was du wirklich tust. Sodann mußt du alle verlassen, die dich gut kennen. Auf diese Weise wirst du einen Nebel um dich her erzeugen.«
    »Aber das ist absurd!« protestierte ich. »Warum sollten die Leute mich nicht kennen? Was ist daran falsch?«
»Falsch ist, daß du, wenn sie dich einmal kennen, für sie etwas Selbstverständliches bist, und von dem
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