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Reise in die Niemandswelt

Titel: Reise in die Niemandswelt
Autoren: Wim Vandemaan
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dem einige Kugelraumer starteten, bemalt mit glutroten Herzen und gelben Sternen mit Menschengesichtern. Die tischtennisballgroßen Schiffchen die tatsächlich aus bemalten Tischtennisbällen bestanden steckten in durchsichtigen Röhren. Ein leise summendes Gebläse hielt sie in der Luft, ließ sie mal eine Spanne steigen, dann wieder sinken.
    »Das ist lange her«, sagte sein Butler, der unbemerkt neben ihn getreten war.
    »Ja«, sagte er.
    »Terrania ist groß geworden. Wie ein Kind ist es erwachsen geworden. Eines Tages, man hat es nicht bemerkt. Man muss loslassen.«
    Er spürte, wie sich ihm die Nackenhaare aufstellten. Für einen Moment dachte er, das sei Zorn, Zorn auf diese erneute plumpe Vertraulichkeit.
    Aber er war nicht zornig, und das richtige Wort für sein Gefühl fehlte ihm. »Niemals«, sagte er.
    »Irgendwann muss man loslassen«, beharrte der Butler. »Oder halten Sie sich für unsterblich?«
    Ich bin unsterblich!, wollte er einwenden. Plötzlich kamen ihm Zweifel. Er tastete nach der Stelle in seiner linken Schulter, wo der flache Zellaktivator Chip implantiert war.
    Er brauchte einen Moment, dann spürte er das Gerät. Es fühlte sich ein wenig kalt an, sehr kalt sogar, als trüge er einen kleinen Eissplitter in der Schulter. Im nächsten Moment strahlte der Chip eine Hitzewelle aus, als wollte er seinen Träger versengen. Dann wurde es wieder kalt. Hitze, Kälte, immergleicher Wechsel.
    Das war ärgerlich. Wie sollte er schlafen mit diesem irritierenden Gefühl? Er wollte sich auf etwas anderes konzentrieren, es gelang ihm nicht.
    Er seufzte. Vielleicht wäre es tatsächlich besser, noch ein wenig spazieren zu gehen. Der Butler hatte recht. Die Abendluft würde ihm guttun. Und die Stadt würde ihm guttun. Sie hatte ihm immer gutgetan.
    »In Ordnung«, entschied er. »Gehen wir noch ein wenig aus.«
    »Sehr wohl«, sagte der Butler. »Ich werfe mir rasch einen Mantel über.«
    Wofür braucht er einen Mantel?, fragte er sich. Die Nacht ist lau. Es ist März, nicht wahr?
    Er sah, wie der Butler sich den Mantel überwarf, einen Sensorknopf am Mantelkragen berührte und sich die Kapuze, die sich aus dem Kragen entfaltete, über den Schädel zog. Er hörte ein leises Zischen. Die Kapuze blähte sich mit einem Knistern auf.
    Er selbst verzichtete darauf, sich noch etwas überzuziehen.
    Gemeinsam traten sie aus dem Haus.
    *
    Sie verließen den Bungalow und informierten den siganesischen Portier. Der Butler rief einen Gleiter aus dem Fuhrpark des Bungalows und setzte sich ans Steuer.
    Er selbst nahm im Fond Platz.
    »Wohin?«, fragte der Butler.
    Er machte eine unbestimmte Geste. »Flieg los.«
    Sie flogen zunächst am Ufer des Goshun-Sees entlang Richtung Happytown. Er hatte die Sichtkuppel des Gleiters auf akustische Durchlässigkeit gestellt. Er hatte das Geräusch der Stadt, ihren millionenfältigen Atem immer gemocht.
    An diesem Abend aber lag etwas wie ein Misston in der Luft. Die Stadt war auf eigentümliche Weise gleichzeitig zu laut und zu leise, ein Dröhnen und Pochen lastete wie eine schwere Haube über den Wohnebenen, die von einer fast verwunschenen Stille waren.
    »Zur Solaren Residenz«, entschied er, als hätte er nach langem Überlegen endlich ein Ziel gefunden.
    Sein Butler wendete den Gleiter und lenkte ihn auf den City-Ring westwärts, auf Antares City zu. Er sah die Solare Residenz eintausend Meter hoch über dem Residenzsee schweben. Über der Residenz, der Stahlorchidee, hing eine mächtige schwarze Wolke, die nur ihres geisterhaft leuchtenden Randes wegen vor dem Nachthimmel sichtbar war. Aus der Mitte dieser Wolke fiel ein Lichtstrahl. Das Licht war kalt und weiß und streute kaum. Umso stärker trat der dunkle Mantel der Stahlorchidee hervor, auf den der Strahl gerichtet war, ein marmornes Schwarz.
    Hoch oben, wo sich die fünf blattförmigen Anbauten aus dem Stamm des Gebäudes schälten, quoll etwas hervor, rot und zähflüssig, und floss in mal dünnen Rinnsalen, mal breiteren Strömen die Wand der Residenz herab, bis es vom verjüngten Ende des Bauwerks in schweren Tropfen sich löste und in den See klatschte.
    Blut, dachte er.
    Er spürte, wie seine Augen sich weiteten. Jetzt erst sah er die mächtige Kugel auf der Spitze der Residenz balancieren, eine Art schwarzen Globus, über dessen Oberfläche unentwegt blaue Blitze huschten und die Sphäre aufleuchten ließen zu einer eigenartig undurchschaubaren Transparenz.
    »Was ist das?«, fragte er den Butler.
    Der Butler
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