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Reinen Herzens

Reinen Herzens

Titel: Reinen Herzens
Autoren: Helena Reich
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die sich in ihrem Kopf formten, erst musste sie ihm helfen. Sie suchte am Hals seinen Puls. Kein Puls. Herzstillstand. Die Welt kehrte schlagartig in den normalen Modus zurück. Sie wusste, was zu tun war. Egal, woher die Kugel gekommen war, egal, was die Kugel getroffen hatte, sie musste sein Herz wieder zum Schlagen bringen. Sie zog ihn zwischen den Autos hervor auf den Bürgersteig, achtete darauf, dass er so flach und gerade wie möglich lag. Der Untergrund war dank des Eises erfreulich fest. Sie ballte eine Hand zur Faust, holte aus und schlug so fest sie konnte auf sein Brustbein. Ein hässliches Knacksen. Nicht hinhören, dachte sie. Er ist tot . Nein, er durfte nicht tot sein, nicht jetzt, da das Leben erst vor einem kurzen Augenblick perfekt gewesen war. Sie legte die Hände auf sein Brustbein und stemmte sich mit aller Kraft darauf. Schlage, verdammt, schlage! Noch ein Knacksen. Sie hatte ihm ein paar Rippen angebrochen. Sie machte weiter. Einem Toten, hatte ihr Professor für Notfallmedizin ihnen eingeschärft, kann man bei einer Reanimation nicht mehr wehtun. Im schlimmsten Fall bleibt er einfach tot – im besten … Dies muss der beste Fall werden, dachte sie, und drückte sein Brustbein noch mal hinunter. Ihre Hand fuhr zu seinem Hals – sie fühlte einen schwachen Puls. Im nächsten Moment durchfuhr ein berstender Schmerz ihren Kopf. Geschafft, dachte sie noch, dann umschloss sie Dunkelheit.

4
    Každý má své slabiny. Já chodím pořád pozdě
a odcházím, aniž bych se rozloučil.
    Jeder hat seine Schwächen. Ich komme immer zu spät
und gehe, ohne mich zu verabschieden.
    Während er zu seinem Wagen rannte, versuchte Felix Benda zu telefonieren. »Nimm ab, verdammt, nimm endlich ab«, murmelte er ungeduldig vor sich hin. Die Sprachbox sprang an. Felix beendete den Anruf, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Was hätte er auch sagen sollen? Jemand wird möglicherweise versuchen, dich heute Abend umzubringen? Wieso war er sich überhaupt so sicher, dass der Engel, von dem Skarlet gesprochen hatte, sein ehemaliger Studienfreund war? Nichts weiter als Intuition. Er hoffte, dass er sich irrte. Aber bei der Polizei in Prag gab es, soweit er wusste, nur einen Beamten namens Engel, seinen alten Studienfreund David Anděl. Er wählte eine andere Nummer. Sekunden später meldete sich sein Kollege Jakub Lajtr.
    »Wo bist du?«, fragte Felix, während er in seinen Wagen sprang und sich anschnallte.
    »Unterwegs«, erwiderte Lajtr knapp. »Was ist los?«
    »Ich brauche Hilfe.«
    »Tut mir leid. Nicht heute Abend. Worum geht es?«
    »Rote Rosen. Unter anderem.« Felix Benda startete den Motor und fuhr los, das Handy zwischen Kopf und Schulter geklemmt. Verdammt. Dann eben alleine.
    »Das ist ein schlechter Scherz, oder?«, fragte Jakub Lajtr, der von allen nur Kuba genannt wurde – was einerseits damit zusammenhing, dass dies die typische tschechische Koseform von Jakub ist und andererseits damit, dass Lajtr viele Jahre lang als Attaché an der damals noch Tschechoslowakischen Botschaft in Kuba gewesen war. »Erzähl«, sagte er.
    »Ein Informant hat eine wilde Geschichte geliefert. Ich hoffe, er hat das Ganze missverstanden. Es ging um rote Rosen, Zigarettenschmuggel, tausend Melonen und einen Auftragsmord. Eine renommierte Prager Kanzlei scheint drinzustecken. Kafka und Partner.«
    »Hm. Die Rosen sind eine alte Geschichte«, erwiderte Kuba. »Du weißt davon?« Es war mehr eine Feststellung als eine Frage.
    »Nur vom Hörensagen«, sagte Felix, »ich habe mich damals noch hauptberuflich mit höherer Mathematik beschäftigt und nicht mit der Unterwelt.«
    Kuba lachte. »Bist halt noch ein Jungspund. Nach der Wende tauchten in Prag Leute aus dem Osten auf, aus der Sowjetunion, um genau zu sein, und boten rote Rosen an – vulgo rotes Quecksilber. Was auch immer das sein soll. Ich weiß nicht, ob jemals wirklich ein Geschäft zustande gekommen ist, aber das Zeug ist eine der großen Mythen der Neuzeit. Angeblich könnte man damit extrem effiziente Atombomben am heimischen Herd basteln.«
    »Ja, das habe ich auch gehört«, erwiderte Felix. Hoffentlich war es wirklich nur ein Mythos, dachte er, er hatte keine Lust, sich mit Atombomben abzugeben, egal welcher Provenienz. »Danke, Kuba. Ich melde mich später.« Er warf das Handy auf den Beifahrersitz und raste weiter durch die nächtliche Stadt einem ungewissen Rendezvous entgegen.
    Seit zwei Jahren arbeitete er in der Abteilung, die sich um organisierte
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