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Reich durch Hartz IV

Reich durch Hartz IV

Titel: Reich durch Hartz IV
Autoren: Rita Knobel-Ulrich
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sitzt zusammen, was nicht zusammen gehört: ein 18-jähriger Schüler ohne Schulabschluss, der grimmig erklärt, er habe zu diesem Mist hier keine Lust, und der davon träumt, Abitur zu machen, vielleicht sogar zu studieren. Jedenfalls hat er nicht die Absicht, irgendwann Käse zu verkaufen. Seinen Namen will er nicht nennen, denn sonst bekomme er Ärger mit seinem Fallmanager. »Vielleicht kürzt der sonst die monatliche Unterstützung«, murmelt er wütend in sich hinein, »dann hocke ich hier eben meine Zeit ab.«
    Betont lässig schiebt derweil ein Mittvierziger einen Einkaufswagen durch den »Supermarkt« – wie sich herausstellt, ein Langzeitarbeitsloser und Lebenskünstler. »Ich mache einen Testeinkauf«, erklärt er. Auf die Nachfrage, was das sei, erklärt er beflissen: »Ich will mal gucken, ob das hier was für mich ist.«
    »Wo wollen Sie sich denn bewerben mit dem, was Sie hier gelernt haben?« Der Mann guckt tief erstaunt. »Tja, mal sehen«, ringt er sich dann ab. »Das werden verschiedene Anbieter sein. Das wird sich zeigen, was sich ergibt.«
    »Na ja, es ergibt sich ja nur das, was Sie in Angriff nehmen. Von selbst kommen Arbeitgeber nicht«, wende ich ein. »Gut, man schreibt eben verschiedene Bewerbungen, mal hier und da …« Mal hier? Mal da? Man versteht: Auch dies wird kein leidenschaftlicher Einzelhandelskaufmann.
    Eine Frau kreuzt virtuelle Bestellungen an. Eigentlich ist sie Altenpflegerin, doch der Job wurde ihr irgendwann zu viel. »Ich bin ausgebrannt«, räumt sie ein.
    »Aber ist denn der Einzelhandel was für Sie?« Sie zuckt mit den Achseln: »Keine Ahnung. Mal sehen. Die Fallmanagerin hat mir das vorgeschlagen.«
    »Warum hat Sie das Jobcenter hergeschickt?«, will ich von einem anderen wissen, ein Glaser, der seit zehn Jahren arbeitslos ist. »Na ja, die Fallmanagerin hat gesagt, ich soll mal gucken. Sie habe da was im Bereich Handel, Lager und Logistik. Ich solle mal reinschnuppern, ob das was für mich ist.«
    Ein Schnupperkurs für Arbeitslose also, als ginge es um einen Tangokurs im Ferienklub. Nur mit dem Unterschied, dass hier jeder Cent des Schnupperkurses aus Steuergeldern finanziert wird und dass das Schnuppern sich vor allem für den TÜV Nord lohnt. Der Leiter des TÜV-Nord-Schulungszentrums, Rainer Westerwelle, hat das Geschäft mit den Bildungsgutscheinen vom Jobcenter jedenfalls als höchst profitabel erkannt. Im Übungsladen wurden bisher 561 Teilnehmer geschult. Nur 93 fanden hinterher eine Stelle. Das Hamburger Jobcenter fand übrigens, das sei schon eine prima Quote: Mehr als 15 Prozent seien somit vermittelt worden. Oft sind es viel weniger, gerade mal fünf Prozent.
    Trotzdem verweist der TÜV Nord stolz auf das Qualitätsniveau seiner Bildungsmaßnahmen: »Unser TÜV®-Qualitätsniveau wird durch ein nach DIN EN ISO 9001 / 2008 zertifiziertes Qualitätsmanagement-System und unsere Anerkennung als Bildungsträger gemäß Anerkennungs- und Zulassungsverordnung Weiterbildung (AZWV) gewährleistet.« Alles klar?
    Mit dem, was das Ganze eigentlich kostet, will der sonst so eloquente Geschäftsführer nicht so recht rausrücken. Als ich hartnäckig nachfrage, bequemt er sich dann doch, ein paar Zahlen zu nennen: »Wir haben das Projekt in einer Ausschreibung gewonnen«, um dann schnell hinzuzufügen: »›Gewonnen‹ ist das falsche Wort. Wir haben uns darum beworben, ein Konzept geschrieben und einen Preis dazu gemacht. Nur damit Sie eine Vorstellung bekommen: Der Markt für solche Dienstleistungen liegt zwischen 500 und 800 Euro pro Teilnehmer pro Monat.«
    Er nickt, höchst zufrieden, denn das sind bisher rund 2,8 Millionen Euro für die Teilnahme am Supermarkt-Kurs, bei dem alle gewinnen – der Einzelhandelsverband, der TÜV Nord, ein Heer von Sozialarbeitern und Ausbildern – nur nicht die Arbeitslosen, und der Steuerzahler schon gar nicht.
Wie Speditionen ihre Lkw-Fahrer preiswert rekrutieren
    Auch Spediteure nehmen gern die Leistungen des Jobcenters in Anspruch. Sie bilden nicht etwa selbst aus – sie lassen ausbilden, wie zum Beispiel das Speditionsunternehmen Heisterkamp. Man suche regelmäßig Lkw-Fahrer, so steht es im Internet unter der Rubrik »Stellenangebote«. Bis zum Ende der Wehrpflicht war die Bundeswehr verlässlicher »Zulieferer« von Lkw-Fahrern. Sie hatte den Speditionen lange Zeit die Leute kostenlos ausgebildet – eine sehr bequeme Lösung. Da ist es für die Branche schön, dass das Jobcenter für die Bundeswehr in die Bresche
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