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Reich durch Hartz IV

Reich durch Hartz IV

Titel: Reich durch Hartz IV
Autoren: Rita Knobel-Ulrich
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Bildungsträger sichern »Kurssurfer«, die schon etliches gemacht haben, frei nach dem Motto: Mal sehen, was zu mir passt. Bezahlt hat stets das Jobcenter.
    Ein Mann Mitte 30 krabbelt beim Thyssen-Training für die angehenden Gerüstbauhelfer auf dem Gelände der SBB, der Stiftung für berufliche Bildung, über das Übungsgerüst. »Wie viele Kurse und Bildungsmaßnahmen haben Sie denn vor diesem hier schon gemacht?«
    »Oh, etwa sechs, sieben Kurse.«
    »Und welchen Inhalts? Was haben Sie da gelernt?«
    »Tja, Maler, Garten- und Landschaftsbau, Maurer auf dem Bau, Gebäudereiniger, das war’s dann.« Ein Job ist bisher nicht dabei herausgekommen. Aber die Bildungsträger wird das Kurs-Hopping gefreut haben.
Ein Supermarkt für Micky Maus
    Hier war er noch nicht – beim TÜV Nord. Den meisten Menschen in Deutschland ist er als Verein zur technischen Überprüfung von Automobilen ein Begriff. Der TÜV Nord weist stolz darauf hin, dass »die Erfolgsgeschichte der TÜV-Nord-Gruppe ihre Wurzeln in den traditionellen Überwachungsvereinen hat, die 1869 damit begannen, die Betriebssicherheit von Dampfkesseln unabhängig und kompetent zu überwachen und sicherzustellen«.
    Inzwischen geht es nicht mehr allein um Dampfkessel und Automobile: Der TÜV Nord mischt mit im Millionengeschäft »Bildungsmaßnahmen für Arbeitslose«.
    Im Geschäftsbericht 2011 jubelt das Unternehmen: »Milliardengrenze übersprungen – TÜV-Nord-Gruppe erzielt höchsten Umsatz seit Bestehen … Erstmals in seiner Geschichte übersprang der weltweit agierende technische Dienstleister die Milliardengrenze. Durch eine Steigerung von 11,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr wuchs der Umsatz auf 1,025 Mrd. Euro.(010 922,6 Mio. Euro). Innerhalb von fünf Jahren gelang damit ein Umsatzsprung von ca. 40 Prozent.«
    Einen Teil dieses Umsatzsprungs verdankt der TÜV Nord auch den »Geförderten Maßnahmen«.
    Mit Plastikgemüse und Gummieiern lassen sich offenbar prima Geschäfte machen, auch wenn das Ganze vollkommen sinnlos ist. Der TÜV Nord führt nämlich einen Übungssupermarkt mit Gemüse, das nur auf dem Papier existiert, mit Käse, der nur auf Ansichtstafeln angepriesen wird, Konservendosen, die leer sind. Hier kauft auch kein echter Kunde, und an der Kasse wird mit Spielgeld bezahlt.
    Zehn Monate lang sollen Teilnehmer mit sogenannten multiplen Vermittlungshemmnissen lernen, wie man kassiert, Lager auffüllt, Warenkörbe arrangiert, einkauft. Ein Kinderkaufmannsladen für Große also. Was Schüler, die etwa bei Rewe an der Kasse sitzen und ihr Taschengeld aufbessern, an einem Nachmittag lernen, dauert hier ganze zehn Monate, gut bezahlt vom Jobcenter. Eigentlich wollte mir weder das Jobcenter noch der TÜV Nord Zutritt in die Welt des Pseudo-Supermarkts gewähren. In verschiedenen Fernseh- und Zeitungsberichten hatte man sich bereits über Gummikäse und Papiergemüse lustig gemacht. »Völlig unverständlich«, sagt der Pressesprecher des Jobcenters in Hamburg, denn die Vermittlungsquote aufgrund dieser Maßnahme sei gar nicht mal so schlecht. Der Lebensmitteleinzelhandel suche schließlich wegen der verlängerten Öffnungszeiten bis 22 und 23 Uhr händeringend Arbeitskräfte.
    Doch weit gefehlt, wenn man nun annimmt, der Einzelhandelsverband selbst schule Arbeitslose zu Verkäuferinnen und Verkäufern um. Denn auch seine Vertreter finden, der Staat eigne sich wunderbar als Kostenträger von Ausbildung.
    Nach langem Hin und Her darf ich dann doch in besagten Supermarkt. Für diese »Bildungsmaßnahme« hat der TÜV Nord in einer zugigen Gewerbehalle ein paar »Waren« und Lagerregale aufgebaut, drei Schreibtische mit Computern eingerichtet sowie eine Ladenkasse aufgestellt. Eine Ausbilderin überwacht, ob die Kassiererin auch richtig kassiert. Sie wird zwar vom Jobcenter bezahlt, kommt aber vom Verband des Lebensmitteleinzelhandels – eine komfortable Lösung, zumindest für den Verein zur Förderung des Einzelhandels. Dessen Vorsitzender kommt ab und zu vorbei und schaut sich das Ganze an. Dass der Verein die Ausbildung selbst bezahlen soll, zumal er ja von der Ausbildung der Arbeitskräfte profitiert, sieht Hermann Meier ganz und gar nicht ein. Das übersteige die Möglichkeiten des Lebensmitteleinzelhandels, meint er ein wenig weinerlich. Der sei ohnehin schon an der Schmerzgrenze. Ausbilden solle der TÜV Nord, bezahlen der Staat, also der Steuerzahler.
    Doch der Steuerzahler finanziert wieder einmal eine völlig unsinnige Maßnahme, denn hier
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