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Reich durch Hartz IV

Reich durch Hartz IV

Titel: Reich durch Hartz IV
Autoren: Rita Knobel-Ulrich
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deutsche Wohlfahrtsstaat ist ein idealer Wachstumsdünger für Sozialunternehmen. Da wollen wir dabei sein.«
    Die Sozialbranche sei in den vergangenen 15 Jahren verglichen mit der Gesamtwirtschaft sechs- bis siebenmal schneller gewachsen als diese, stellte Walter Wüllenweber fest. Deutschland erlebe einen beispiellosen Hilfeboom: »Unbekanntes Wirtschaftswunder Sozialbranche«, so könnte man das Phänomen bezeichnen. Unter diesem Oberbegriff wurde denn auch im März 2012 ein Kongress in Berlin veranstaltet, unter anderem vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. Natürlich ging es da auch um Kitas, Pflege- und Gesundheitseinrichtungen, aber auch um die Bildungsbranche und darum, »Ethik und Effizienz in die richtige Balance zu bringen«. Hinter den wohlklingenden Worten verbirgt sich knallharte Geschäftstüchtigkeit.
    »Hilfsunternehmen sind fast immer gemeinnützig«, stellt Walter Wüllenweber fest, und das sei keine moralische Kategorie, sondern ein rein steuerrechtlicher Tatbestand, wenn sie dem Finanzamt gegenüber erklärten, ihre Tätigkeit sei darauf gerichtet, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern. Selbstlos? Gemeinnützig? Die Konkurrenz für Bildungsfirmen dieser Art ist groß. Es wird mit harten Bandagen, mithilfe ausgefeilter Kalkulationen, um jeden Auftrag gerungen und versucht, andere »gemeinnützige« Firmen mit günstigen Angeboten im Preis zu unterbieten. Immerhin gibt es circa 40 000 freie Bildungsträger in Deutschland. Und die kämpfen um ihre Existenz. Auch gemeinnützige Helfer haben also eigene Interessen.
    So sind insgesamt gleich drei Vertreter der beiden Bildungsanbieter angerückt, zwei von der »Gemeinnützigen Gesellschaft für Beschäftigungsförderung«, einer von der »Stiftung für berufliche Bildung«. Sie betrachten die Dreharbeiten meines Teams interessiert. Weniger interessiert sind sie allerdings daran, mit Zahlen aufzuwarten. »Was kostet es, die Gerüstbauhelfer auszubilden?«, will ich wissen.
    »Das habe ich nicht im Kopf. Das kann ich Ihnen nicht sagen. Das ist auch ein Betriebsgeheimnis!« Nun bin ich doch ein bisschen verblüfft und wende ein: »Aber das ist doch öffentliches Geld. Sie müssen doch wissen, was das kostet?«
    »Ja, natürlich wissen wir, was das kostet. Aber alle Zahlen können und dürfen wir Ihnen nicht mitteilen.«
    »Aber ich dachte, Sie erwirtschaften keinen Gewinn, sind gemeinnützig?«
    »Aber wir sind unserem Auftraggeber, dem Jobcenter, gegenüber zu Verschwiegenheit verpflichtet.«
    Zum Schluss ermannt sich der Vertreter des einen Bildungsträgers: »Also nicht in die Kamera, aber ich kann Ihnen sagen, die Sätze sind in der Regel so: Sie liegen für einen Teilnehmer pro Monat zwischen 300 und 600 Euro bei dieser Fortbildungsmaßnahme.«
    »Und wie viele Teilnehmer haben Sie in Ihrem ganzen Komplex?«
    »Es sind 1400 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die hier täglich rein- und rausgehen.« Und der Vertreter des anderen Bildungsträgers ergänzt: »Wir haben einen Stand von 1400 bis 1500 Teilnehmern.« Gelingt es also den beiden Bildungsanbietern, ihre Säle und Hallen zu füllen, sind das Einnahmen von jeweils etwa 9 Millionen Euro pro Jahr.
    Wie man an einen Auftrag kommt, schildert uns der Mitarbeiter der Stiftung für berufliche Bildung: »Die Arbeitsagentur schreibt Maßnahmen aus. Darauf bewirbt man sich. Und zwar mit einem Preis und einem Konzept. Dann geht das rund, und dann muss man das blumig formulieren, weil die Entscheidungen über den Zuschlag einem Zentralinstitut der Bundesagentur für Arbeit obliegen. Und davon hängt unser Überleben als Bildungsträger ab.«
    Mit anderen Worten: Bestimmte Schlagwörter und Versprechungen gehören dazu, bevor es einen Zuschlag gibt. Deswegen wimmeln alle Präsentationen der Bildungsträger nur so von Begriffen wie Teamfähigkeit, Integration, Erwerb von Basisqualifikationen, handlungsorientiertes Verhalten, Motivation zur Erarbeitung von Handlungsalternativen, Eignungsfeststellung und Verantwortungsbewusstsein im Sinne der Gesellschaft, Erweiterung der Fähigkeiten und Fertigkeiten usw.
    Jeder Bildungsträger beschäftigt eine eigene Projektabteilung, die an neuen Konzepten feilt, neue Kurse austüftelt, blumige Formulierungen findet. Blumig muss es auch deswegen sein, damit sich die Arbeitslosen entscheiden, bei diesem und nicht bei einem anderen Bildungsträger ihren »Bildungsgutschein« vom Jobcenter einzulösen. Das Überleben aller
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