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Reich durch Hartz IV

Reich durch Hartz IV

Titel: Reich durch Hartz IV
Autoren: Rita Knobel-Ulrich
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Er ist sichtlich zufrieden. Ist ja auch kein Wunder, denn die Bewerber werden frei Haus geliefert. Es müssen keine teuren Anzeigen geschaltet, es muss nicht umständlich nach geeigneten Leuten gesucht werden. Auch wenn zum Casting nicht viele gekommen sind, die für die harte und zum Teil gefährliche Arbeit als Gerüstbauer geeignet zu sein scheinen, ein paar werden sich schon finden. Und wenn die am Ende doch nicht gefallen, schickt das Jobcenter eben wieder neue Kandidaten vorbei. Eine Garantie, dass die angehenden Gerüstbauer nach ihrer Ausbildung übernommen werden, wird ja schließlich nicht verlangt.
    Die anwesenden Bewerber reißen sich förmlich um das Angebot, doch einige, wie Viktor Schneider, ahnen bereits, was auf sie zukommt: »Ich will arbeiten und Geld verdienen. Ich habe schon oft auf dem Bau gearbeitet und will nicht schon wieder einen Kurs machen, um dann hinterher zu hören, dass es doch nichts wird.« Ich werde hellhörig. Spricht er aus Erfahrung? Ein bisschen resigniert blickt er mich an: »Ja, klar«, sagt er dann und holt aus seiner abgeschabten Aktentasche einen ganzen Stapel Zettel hervor. Teilnahmebescheinigungen aus den letzten Jahren. Für ihn wäre das hier schon der sechste Kurs. Obenauf liegt gleich der Nachweis über die Kursteilnahme bei der Beschäftigungs-, Qualifizierungs- und Strukturförderungsgesellschaft, kurz BQS. Acht lange Monate hat Viktor Schneider dort verbracht. Blumig klingt es, was da angeblich alles so geleistet wurde: »Ziel des Projekts«, heißt es, war die »Integration in eine Arbeitsgruppe, um die Teamfähigkeit und das Verantwortungsbewusstsein im Sinne der Gesellschaft zu fördern.« Außerdem erhielten die Teilnehmer »eine Qualifizierung im Holzhandwerk und konnten somit ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten erweitern«. Klingt so, als wäre den Lernenden richtig was geboten worden. Einen festen Job hat das Ganze aber trotzdem nicht gebracht. Das muss es auch nicht, wie wir später hören.
    Wie viele Menschen nach Abschluss einer Maßnahme eine feste Arbeit bekommen, wird beim Bildungsträger nicht nachgefragt. Davon hängt noch nicht einmal ab, ob die BQS weiterhin Kurse anbieten darf. Und so ging Viktor Schneiders Reise durch die schöne Welt der Bildungsmaßnahmen weiter: Es folgte eine zweimonatige Bautrainingsmaßnahme. Dort – so jubelt der Bildungsanbieter – habe er »Basisqualifikationen erworben«, darunter »handlungsorientiertes Verhalten, Motivation zur Erarbeitung von Handlungsalternativen, Eignungsfeststellung«.
    Doch all diese prima Qualifikationen haben nicht dazu geführt, dass Viktor Schneider eine Arbeit bekam. Er hat, wie er drastisch sagt, die Schnauze voll. Arbeiten wolle er, und zwar sofort. Nicht noch eine Qualifikation und keine Kurse mehr, die doch zu nichts führten. »Der Staat hat schon so viel Geld für mich rausgeschmissen«, sagt er dem Thyssen-Mann ins Gesicht. »Damit muss jetzt Schluss sein.« Und dann zieht er unverrichteter Dinge wieder von dannen, als er hört, dass die Teilnahme an dem viermonatigen Kurs Voraussetzung für den Arbeitsvertrag sei. Ohne den laufe nämlich gar nichts.
    Immerhin: zehn junge Männer werden genommen. Die treffen wir später beim Training wieder, und zwar bei der Gemeinnützigen Gesellschaft für Beschäftigungsförderung, denn für das Qualifizieren ist nicht das Jobcenter selbst zuständig, sondern ein sogenannter Bildungsträger – gegen Bares. Im Fall der »Gerüstbaumaßnahme« sind es sogar zwei: die Gemeinnützige Gesellschaft für Beschäftigungsförderung aus Duisburg und die Stiftung für berufliche Bildung, ansässig in Hamburg.
    Wie aber ist Thyssen ausgerechnet auf die Gemeinnützige Gesellschaft für Beschäftigungsförderung gekommen? Das wiederum erklärt deren Geschäftsführer: Man kenne sich eben. Thyssen sei ja auch im Ruhrgebiet ansässig, und außerdem seien einige Mitarbeiter der GfB vorher in dem Unternehmen angestellt gewesen. Im Ruhrgebiet sei es eben so wie in einer Familie, nach dem Motto: Der Onkel gibt dem Cousin einen Auftrag und stellt sich der Arbeitsagentur als »eine Familie« vor.
    Bei beiden Bildungsträgern arbeiten Hunderte von Ausbildern, Sozialpädagogen und Trainern. Es gibt Büros, Hallen, Schulungssäle – ein Riesenkomplex. Das muss alles unterhalten und finanziert werden. Der Journalist Walter Wüllenweber zitiert in seinem Buch Die Asozialen einen Unternehmensberater, der bezeichnenderweise anonym bleiben will, mit den Worten: »Der
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