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Reich der Schatten

Reich der Schatten

Titel: Reich der Schatten
Autoren: Shannon Drake
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Schürze ab, eilte die Stufen herab und drückte Tara ebenfalls freudig an ihre Brust. Tara bemühte sich, die richtigen Worte auf Französisch zu finden, doch schließlich gab sie auf und erwiderte nur die Umarmung. Die beiden Alten wollten gar nicht mehr aufhören, sie zu drücken und zu küssen.
    »Ich muss jetzt zurück ins Büro«, rief Ann. »Ich gehe nicht rein. Du übernachtest in deinem alten Zimmer.«
    Tara packte wieder ihre Tasche, denn sie wollte sich weder von Roland noch von Katia helfen lassen.
    »Dein Großpapa ist in der Bibliothek!«, erklärte Katia missbilligend und schüttelte den Kopf so heftig, dass sich dünne graue Strähnchen aus dem ordentlichen Knoten lösten und um ihr Gesicht wehten. »Man darf ihn nicht zu sehr aufregen, er kann stur sein wie ein alter Esel.«
    »Ich fessle ihn, wenn er zu umtriebig wird«, versicherte Tara.
    Ann fuhr die kreisförmige Zufahrt weiter und machte sich auf den Weg zurück in die Stadt. Roland und Katia folgten Tara ins Haus. In der einst prächtigen Eingangshalle blieb sie stehen und sah sich um: herrliche Holzarbeiten, fadenscheinige Wandteppiche und auf dem langen Tisch mit den Klauenfüßen Anns Computer inmitten von Bergen von Pa-pier.
    Tara lächelte. Es war schön, wieder hier zu sein.
    Auf der anderen Seite des Atlantiks erwachte Jade DeVeau mit einem Ruck. Sie fragte sich, was sie so abrupt aus dem Schlaf gerissen hatte.
    Die Nacht war ruhig gewesen, und wahrscheinlich war es schon früher Morgen. Einen Moment lang lag sie angespannt da, die Augen zusammengekniffen, und versuchte, die Gefahr zu erahnen, die ihre Überlebensinstinkte geweckt hatte. Doch es war nichts zu hören.
    Sie machte die Augen auf und drehte sich leise um.
    Mondlicht fiel durch das Fenster, das auf den hübschen Hinterhof ihres Hauses in Charleston führte. Lucian saß im Schaukelstuhl davor und blickte in die Nacht hinaus.
    Sie wunderte sich nicht, ihn dort zu sehen. Zwar hatte sie ihren Schlafrhythmus inzwischen seinem angepasst, und er hatte gelernt, sich in der Dunkelheit hinzulegen und zu ruhen, doch in vielen Nächten sah sie ihn auf dem Schaukelstuhl sitzen, wenn sie aufwachte. Manchmal las er, dafür benutzte er eine kleine Leselampe, um sie nicht zu stören. Manchmal schaukelte er sachte auf und ab und betrachtete den Mond. Häufig saß er auch nur völlig entspannt da, wie eine Nachteule. Wenn er richtig rastlos war, ging er nach unten, um zu arbeiten oder sich im Fernsehen die Nachrichten oder einen alten Filmklassiker anzusehen.
    Doch heute Nacht war es anders.
    Jade setzte sich auf und angelte sich ihren Morgenmantel, der am Fußende des Bettes lag. Sie hatte noch immer Angst. Auch wenn sie nicht wusste, warum, fühlte sie sich seltsam verletzlich in ihrer Nacktheit, wie sie zu schlafen pflegte. Sie wusste, dass Lucian ihr Aufwachen sofort bemerkt hatte, er nahm alles wahr, was um ihn herum vorging.
    Nun drehte er sich zu ihr, und selbst im schwachen Licht des Mondes sah sie, dass er entschuldigend lächelte.
    »Ich habe dich aufgeweckt. Tut mir leid – ich dachte, ich wäre leise gewesen.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Du hast mich nicht geweckt. Ich bin einfach nur so aufgewacht.«
    Er zog sie auf den Schoß. Sie fuhr ihm zärtlich durchs Haar. Oft fragte sie sich, ob es eine Sünde war, jemanden so sehr zu lieben.
    »Was ist los?«, flüsterte sie.
    Er schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung.«
    Sie erzitterte. Seine Umarmung wurde fester. »Keine Angst. Das … was immer es ist … ist weit weg. Aber gerade deshalb bin ich besorgt: Ich spüre etwas, aber ich weiß nicht, was.«
    Als hätte er Angst, sie mit seiner Anspannung anzustecken, schob er sie von sich und stand abrupt auf. »Ich hätte Lust auf einen Hamburger.«
    Sie betrachtete ihn fragend. »Um diese Uhrzeit?«
    Plötzlich ertönte ein lautes Wimmern.
    »Das Baby!«, sagte Jade, drehte sich um und eilte ins Nachbarzimmer. Sie wusste, dass Lucian ihr folgte, auch wenn sie seine Schritte nicht hörte.
    Rasch schaltete sie das Licht an und trat an Aidans Wiege. Feine blonde Strähnchen standen von seinem Köpfchen ab, die Wangen waren gerötet, die Fäustchen flogen durch die Luft, das Gesichtchen war tränenüberströmt.
    Jade nahm ihn zärtlich in die Arme und drückte ihn fest an sich.
    Als sie Lucian geheiratet hatte, war es ihr schwergefallen, sich damit abzufinden, keine Kinder bekommen zu können. Sie hatte jedoch beschlossen, auch kein Kind zu adoptieren, weil sie so ein kleines Wesen nicht in
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