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Reich der Schatten

Reich der Schatten

Titel: Reich der Schatten
Autoren: Shannon Drake
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Lieutenant seine Leute. Obwohl er kaum halb so alt war wie Lansky, nahm der seine Befehle ohne Murren entgegen. Lansky hatte sich hier draußen als ein väterlicher Freund und Berater erwiesen, denn gegen Ende des Ersten Weltkriegs hatte er noch viel darüber gelernt, wie man sich in einem Graben am besten verschanzte. Von ihm kamen immer verdammt gute Vorschläge, die er in aller Bescheidenheit äußerte. Selbst die Offiziere, die im Rang über dem Lieutenant standen, folgten gern seinem Rat.
    Er sah Lansky in die Augen. »Sie kommen!«, sagte Lansky. »Ich spüre es.«
    Der Lieutenant nickte ihm zu. Wenig später zeigte sich, dass Lansky recht gehabt hatte. In der Dämmerung, dem Pulverdampf und dem aufgewirbelten Staub tauchten plötzlich Soldaten auf. Sie wussten, dass sie zu sehen waren, und stießen seltsame Schreie aus, wie archaische Krieger. Vielleicht ist das Kämpfen immer und überall gleich, dachte der Lieutenant. Nur der Ort, die Zeit und der Anlass sind anders. Vielleicht mussten die Männer einfach schreien, wenn sie direkt in einen Kugelhagel stürmten, auch wenn sie selbst bewaffnet waren und bereit zu töten. Vielleicht war ein Schlachtruf das Letzte, was ein Mann dem Himmel oder der Hölle zubrüllte, um kundzutun, dass er noch lebte.
    »Feuer!«, befahl der Lieutenant.
    Beim Dröhnen der Gewehre schien sich der Boden aufzutun. Die Kette von Männern, die auf sie zukam, geriet ins Stocken und löste sich auf. Die unheimlichen Schlachtrufe wurden zu schmerzerfüllten Schreien, Männer gingen zu Boden, starben.
    Dennoch schlossen andere Soldaten die Kette, wo sie gerissen war, und die Schlachtrufe der Neuen stiegen zum dämmrigen Himmel auf.
    »Feuer!«, schrie der Lieutenant abermals. Wieder erfüllte eine Salve die Dämmerung, wieder gingen Männer zu Boden. Doch der Feind rückte unerbittlich näher, wie Gespenster füllten immer neue Soldaten die Lücken. Die Kette rückte näher und näher, und auch die feindlichen Soldaten schossen, obwohl sie blind in die Gräben feuerten.
    »Feuer!«
    Wieder das Peitschen von Kugeln. Pulverschwaden erfüllten die Dämmerung, so dicht, dass es fast unmöglich war, etwas zu sehen. Die Männer in den Gräben hörten Schreie, die ihnen zeigten, dass wieder Gegner getroffen waren.
    Doch sie zeigten ihnen auch, dass der Feind immer näher rückte.
    Ein Soldat stürmte vorwärts, warf sich in den Graben, zielte auf Lansky. Der Lieutenant setzte sein Gewehr instinktiv als Streitkolben ein und hieb es dem Gegner in den Nacken und auf den Rücken. Der Mann fiel, bevor er einen einzigen Schuss abfeuern konnte, doch weitere kamen, waren schon fast da.
    »Schießt, wann ihr wollt!«, brüllte der Lieutenant. In wenigen Minuten würde das Chaos ausbrechen, der Feind würde in die Gräben eingebrochen sein, kein Mensch würde mehr wissen, auf was er schoss. Wie Explosionen dröhnten die Schüsse, während die Verteidiger fast blind auf den Feind feuerten, der immer näher rückte. Ein Soldat wurde in die Speiseröhre getroffen und fiel in den Graben, genau auf Lansky. Der schubste den Toten beiseite und suchte gleich wieder ein Ziel.
    Auf einmal erhob sich ein Heulen – und es war nicht der Schlachtruf der Feinde. Es war unheimlich wie der Schrei von tausend Todesfeen, wie der Schrei derer, die in den tiefsten Schluchten der Hölle steckten. Das Geräusch war derart erschreckend, tief, ans Innerste rührend, dass beide Seiten einen Moment lang zu schießen vergaßen.
    Die Stille war ebenso unheimlich wie der höllische Schrei, der sie hervorgerufen hatte.
    MacCoy, der Junge aus Boston, flüsterte: »Mögen die Heiligen uns segnen und beschützen!«
    Dann brach das totale Chaos los: wieder dieses bellende Heulen, daneben Schüsse, die aus den Gräben in die Dämmerung und ins Dunkel abgegeben wurden, Schüsse auf den herannahenden Feind, Schüsse, die in die Dunkelheit pfiffen.
    Auf einmal erhob sich ein Donnern. Ein Donnern, als würde ein ganzes Kavallerieregiment auf sie zustürmen.
    Schreie wurden laut, Schreie von deutschen Soldaten, während die Männer in den Gräben wegen des dichten Schleiers von Pulver, Staub und Dämmerung noch immer nichts sehen konnten.
    »Heilige Jungfrau Maria, gesegnet seist du unter den Weibern …«, fing MacCoy an.
    »Herr im Himmel!«, schrie Lansky. Es war Gebet und Fluch zugleich, denn aus dem Nebel tauchte plötzlich ein deutscher Soldat auf, von oben bis unten blutverschmiert. Er stürzte in den Graben, lag da zu ihren Füßen. Alle
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