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Raus aus dem Har(t)z IV!

Raus aus dem Har(t)z IV!

Titel: Raus aus dem Har(t)z IV!
Autoren: Diana Meier
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die Wut: Agentur für Arbeit . Sie, ausgerechnet Sie , bekam einen Brief von der Agentur und womöglich einen Job? Schlimm genug, dass die Familie dieser Kopftuchpiratin vor wenigen Wochen hier ins Haus gezogen ist. Früher wäre das nicht passiert. Früher lebte der alte Kowalski noch im Erdgeschoss. Jedes Mal wenn Interessenten für eine der inzwischen zahlreichen leerstehenden Wohnungen kam, konnte er trickreich verhindern, dass uns im Haus neue Mieter bevorstehen. Wir waren wie eine eingeschworene Sippschaft, die keine Fremden duldete. Einmal kam ein Makler mit einer Familie im Mercedes, die sich die Wohnung direkt über Kowalski angesehen hat. Schnurstracks hat er leere Spritzen im Treppenhaus verteilt und seine Musik auf volle Lautstärke gestellt, sodass im gesamten Haus der Punk- Rock zu hören war und es aussah, als würden Drogenabhängige hier hausen. Für solche Fälle hatte sich Kowalski ein ganzes Arsenal CD’s zugelegt. Für Jeden die richtige Abschreckung, wie er immer so schön sagte. Als dann die Interessenten nicht nur die laute Musik hören, sondern auch die Spritzen im Treppenhaus entdecken konnten, war erst einmal Ruhe eingekehrt und der Einzug verhindert. Bei einer späteren Besichtigung, bei der es um eine Familie mit Migrationshintergrund (ist das jetzt politisch korrekt?) ging, klebte er Aufkleber einer rechtsgerichteten Partei an seine Tür und die Briefkästen, sodass die Interessenten dachten, sie würden hier in die letzte Bastion des Dritten Reiches einkehren und auf den Endsieg warten, wenn sie einziehen würden. Auch hier konnte Kowalski verhindern, dass es zum Mietvertrag zwischen Wohnungsgesellschaft und Interessenten kam. Ja, der alte Kowalski. Er war schon eine gute Seele. Nannte mich immer ‚ sein Mädchen ‘ und war stets korrekt. Eines Tages dann hat man ihn abgeholt. Pflegeheim. Irgendjemand hatte bei Gericht erwirkt, dass er nicht mehr zurechnungsfähig sei und sich nicht mehr allein versorgen könnte. Dann kam der Beschluss und weg war er. So schnell kann es gehen. Ob die Wohnungsgesellschaft dahinter steckte? Wer weiß. In jedem Fall fanden sich schnurstracks neue Mieter für die leerstehenden Wohnungen. Darunter eben auch die Familie der Aishe Yilmaz, deren Brief ich in der Hand hielt.  Ich hatte ja grundsätzlich nichts gegen Türken. Im Gegenteil. Als ich damals den Mauerfall erlebte und das erste Mal bei einem Besuch im Westen Frauen im Kopftuch sah, hatte es für mich etwas Exotisches und Reizvolles. Es war, als käme der Urlaub zu mir und ich müsste nicht mehr dahin. Ich fand es interessant, ja, sogar hilfreich. Denn ich konnte schnell herausfinden, dass ich so immer die tollsten Schnäppchen finden konnte. Ich musste mich nur, wenn ich ein Kaufhaus betrat, umsehen, wo die meisten Kopftücher in der Menge zu erspähen waren. Da waren meist auch die Grabbeltische und die Sonderangebote. Denn irgendwie schienen Kopftücher über ein eingebautes Radar oder einen Wegweiser zu verfügen, der den direkten Weg zum Wühltisch und den Schnäppchen weist. Da fand ich diese Menschen tatsächlich noch interessant und exotisch. Konnte ihnen etwas abgewinnen, das mich an Urlaub erinnert oder zumindest die Träume daran weckt. Immerhin hatte ich bis zum Mauerfall solche Menschen nie gesehen. Wir hatten im Osten zwar auch Ausländer, aber es waren meist die Vietnamesen, die in Fußgängerunterführungen aus Tüten heraus Zigaretten oder Musikkassetten verkauften. Doch jetzt, mehr als zwanzig Jahre danach, waren diese Menschen für mich eher wie ein eiteriges Blutgeschwür am Hintern, das einfach nicht platzen und von dem Schmerz befreien will. Es meldet sich dann, wenn man es am wenigsten braucht, krallt sich fest und will einfach nicht verschwinden. Stattdessen saugt es sich voll wie ein Parasit und verursacht in steter Regelmäßigkeit einfach nur Schmerzen. Ausgerechnet AISHE hat einen Brief von der Agentur. Warum das? Ist Frau Schimmelpfennig den türkischen Süßigkeiten erlegen und hat einen Döner mit extra Fett als Bestechung bekommen? Das würde zumindest ihren Umfang erklären. Tausche Hals gegen zweiten Magen. Und dafür hatte ich die Einkaufstüten abgestellt. Frechheit. Als Krönung musste mir der Briefträger dann noch diesen Brief in den Kasten werfen. Kann er nicht lesen, was auf dem Namensschild steht?  Diana Meier klingt wohl anders als Aishe Yilmaz . Selbst wenn es im Moment kalt und unangenehm draußen war, ein Kopftuch gehörte nicht zu meiner
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