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Raue See

Raue See

Titel: Raue See
Autoren: Ralph Westerhoff
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»Meinetwegen«, sagte er.
    Auf der Straße sagte Schürmann: »Nehmen Sie meinen«, warf dem verdutzten Randolph einen Wagenschlüssel zu und deutete auf einen schwarzen Porsche. Eilig bestiegen sie den Sportwagen.
    »Ist schneller und hat ein Blaulicht«, sagte Schürmann, während er sich anschnallte. »Los, geben Sie Gas, Herr Oberstleutnant der Reserve.«
    Randolph startete den Wagen und fragte stammelnd: »Woher wissen Sie? Äh … Ich meine, das war streng geheim. Das weiß niemand …«
    »Doch«, erwiderte Schürmann lächelnd. »Unsere Jungs vom BND kennen Sie. Was die über Sie gesagt haben, hat mich beruhigt. Ich lass doch keine Laien ermitteln. Aber keine Sorge. Ich habe auch die Geheimhaltungsstufe. Das bleibt unter uns.«
    Günter schüttelte auf der Rückbank nur ergeben den Kopf, während Randolph den Wagen durch das nächtliche Rostock in Richtung Autobahn prügelte.
    * * *
    »Wieso bist du so sicher, dass Wiebke in Damp ist?«, fragte Günter, als sie die Autobahn erreicht hatten und er nicht mehr in jeder Kurve an die Seitenwand des Wagens gepresst wurde.
    »Damp ist eine dieser typischen Ferienanlagen, die in den Siebzigern errichtet wurden. Neben gigantischen Hotelburgen aus Beton baute man dort auch eine Ferienhausanlage mit sogenannten Nurdachhäusern«, erzählte Randolph.
    »Und?«
    »Es begab sich just zu dieser Zeit, dass unsere sowjetischen Brüder bei der Mannesmann AG Röhren für Erdgas bestellten. Was sie natürlich nicht hatten, war das erforderliche Geld. Also halfen wir als braves sozialistisches Brudervolk aus. Wir bauten die Nurdachhäuser. Die Rechnungen beglichen die Investoren bei Mannesmann in Düsseldorf.«
    »Nette Geschichte. Nur was hat das mit Wiebke zu tun?«, fragte Günter ungeduldig.
    »Gemach! Damp ist ein Seebad in der Eckernförder Bucht. Vis-à-vis lag zu der Zeit praktisch die gesamte Ostseeflotte der Bundesmarine vor Anker. Was wäre also naheliegender, als eines dieser Nurdachhäuser für unsere Zwecke auszustatten? Die Häuser wurden auf Betonplatten ohne Keller errichtet. Nur eines nicht. Es bekam einen zweistöckigen Keller verpasst.«
    »Das fällt aber doch auf, wenn auf einmal ein Haus einen Keller bekommt.«
    »Nicht wenn man aushandelt, dass die Baustelle wegen einer möglichen Republikflucht der dort tätigen sozialistischen Bauarbeiter mit Stacheldraht abgesichert wird. Wir hatten sogar das Recht, Wachen aufzustellen. In mehr oder weniger einer Nacht-und-Nebel-Aktion wurde der Keller ausgehoben, betoniert und mit der üblichen Platte versehen. Das war eine so große Baustelle damals, dass das gar nicht auffiel.«
    »Gut, und weiter?«
    »Ein Strohmann mietete dieses Haus zunächst auf Dauer an. Als die Dinger zum Verkauf standen, hat er es erworben. In den Achtzigern schließlich wurde die Abhörtechnik immer besser, sodass die Anlage ihren Nutzen verlor und wir das Interesse. Wir haben uns immer köstlich darüber amüsiert, dass der Westen so doof war, den Klassenfeind auf seinem eigenen Gebiet eine Abhöranlage installieren zu lassen und ihn dafür auch noch zu bezahlen. Dieser Keller ist für Bergmüllers Zwecke wie gemacht. Schalldicht, abhörsicher und unbekannt.«
    »Und da fahren wir jetzt hin«, sagte Günter. »Was, wenn sie nicht da ist?«
    »Sie ist da. Das spüre ich.«
    »Mal eine ganz andere Frage«, sagte Schürmann. »Wenn ich das richtig verstanden habe, konnten die Russen die Rechnung bei Mannesmann nicht bezahlen, was dann die DDR übernommen hat.«
    »So in etwa.«
    »Und woher hatte die DDR das Geld?«
    »Von den Krediten, die Westdeutschland immer wieder zur Verfügung gestellt hat«, erzählte Randolph.
    »Dann hat im Ergebnis der westdeutsche Steuerzahler die Erdgasröhren der Russen bezahlt?«
    »Wenn Sie so wollen.«
    »Politik ist Scheiße.«
    »Na, na, Herr Oberstaatsanwalt.«
    * * *
    Wiebke konnte kein Auge zumachen. Wie gebannt starrte sie auf den Countdown, der gnadenlos herunterzählte. Es war schrecklich. Auf die Sekunde genau zu wissen, wann sie sterben würde, war eine Folter, die sie immens quälte.
    Als die Uhr noch fünf Minuten anzeigte, hörte sie das knarrende Geräusch der Falltür über der Stiege. Um 00   :   04   :   25 sagte Bergmüller: »Es wird Zeit. Hast du noch einen letzten Wunsch?«
    »Fick dich!«, sagte sie.
    »Ganz im Gegenteil«, antwortete er. Dann schwieg er und holte aus einem Schrank an der Wand eine Flinte.
    Gott sei Dank, dachte sie. Er erschießt mich nur. Mann, wie tief bin
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