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Rattenkoenig

Rattenkoenig

Titel: Rattenkoenig
Autoren: James Clavell
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Staub Changis in die Luft schleuderte. Peter Marlowe stürzte wild vor und hob die Hand, um seinem Freund zu winken. Aber der King blickte nicht zurück. Er blickte nie zurück.
    Plötzlich kam sich Peter Marlowe hier am Tor von Changi sehr einsam vor.
    »Das Zuschauen hat sich gelohnt«, frohlockte Grey.
    Peter Marlowe drehte sich zu ihm um. »Verschwinden Sie, bevor ich mich an Ihnen vergreife.«
    »Es war herrlich, ihn so weggehen zu sehen. ›Sie, Korporal! Machen Sie, daß Sie Ihren gottverdammten Arsch auf den Lastwagen raufkriegen.‹« In Greys Augen stand ein gefährliches Glitzern. »Ganz wie der Abschaum, der er selber gewesen ist.«
    Aber Peter Marlowe hatte nur den King in Erinnerung, wie er wirklich gewesen war. Nicht der King, der jämmerlich sagte: »Jawohl, Unteroffizier.« Das war nicht der King. Das war ein ganz anderer Mann gewesen, herausgerissen aus dem Leib Changis, der Mann, der Changi so lange ernährt hatte.
    »Ganz wie der Dieb, der er gewesen ist«, sagte Grey langsam und betont.
    Peter Marlowe ballte die gesunde Linke. »Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt. Jetzt sage ich es zum letztenmal.«
    Dann schlug er Grey die Faust ins Gesicht, daß dieser rückwärts taumelte, aber er blieb auf den Beinen und warf sich auf Peter Marlowe. Die beiden Männer schlugen aufeinander ein, und plötzlich stand Forsyth neben ihnen.
    »Aufhören«, befahl er. »Zum Teufel, warum schlagen Sie sich?«
    »Wegen nichts«, antwortete Peter Marlowe.
    »Nehmen Sie die Hand von mir weg«, knurrte Grey und riß den Arm aus Forsyths Griff. »Gehen Sie mir aus dem Weg.«
    »Noch einmal Ärger mit einem von Ihnen beiden, und ich bestrafe Sie mit Stubenarrest.«
    Bestürzt stellte Forsyth fest, daß der eine Hauptmann und der andere Leutnant war. »Sie sollten sich schämen, sich wie gemeine Soldaten zu raufen! Gehen Sie weiter, alle beide, weg von hier. Der Krieg ist vorbei, zum Donnerwetter!«
    »Tatsächlich?« Grey sah noch einmal Peter Marlowe an und ging dann weg.
    »Was ist mit Ihnen beiden los?« fragte Forsyth.
    Peter Marlowe starrte in die Ferne. Der Lastwagen war längst nicht mehr zu sehen. »Sie würden es doch nicht verstehen«, antwortete er und wandte sich ab.
    Forsyth sah hinter ihm her, bis er verschwunden war. Das können Sie millionenmal sagen, dachte er erschöpft. Ich verstehe überhaupt nichts von irgendeinem von euch.
    Er wandte sich wieder dem Tor von Changi zu. Dort standen wie immer Gruppen von Männern und starrten schweigend hinaus. Das Tor war wie immer bewacht. Aber die Posten waren Offiziere und keine Japaner oder Koreaner mehr. An dem Tag, an dem er angekommen war, hatte er ihnen befohlen, wegzugehen, und hatte eine Offizierswache eingerichtet, die das Lager schützen und die Leute darin festhalten sollte. Aber die Posten waren unnötig, denn niemand hatte versucht auszubrechen. Ich begreife es nicht, sagte Forsyth müde zu sich. Es ist kein Sinn darin. Nirgendwo ist hier ein Sinn.
    Erst jetzt fiel ihm wieder ein, daß er den verdächtigen Amerikaner – den Korporal – nicht gemeldet hatte. Er hatte sich um so viel kümmern müssen, daß er den Mann völlig aus dem Sinn verloren hatte. Verdammter Idiot, jetzt ist es zu spät! Dann erinnerte er sich, daß der amerikanische Major zurückkommen würde. Gut, dachte er, ich werde es ihm erzählen. Er kann sich mit ihm befassen.
    Zwei Tage später kamen weitere Amerikaner an. Und ein wirklicher amerikanischer General. Er wurde wie eine Bienenkönigin von Fotografen, Reportern und Ordonnanzen umschwärmt. Der General wurde in den Bungalow des Lagerkommandanten geführt. Peter Marlowe, Mac und Larkin wurden dorthin befohlen. Der General hob den Kopfhörer des Radios ans Ohr und tat, als horchte er.
    »Bleiben Sie so stehen, General!«
    »Nur noch eine, General!«
    Peter Marlowe wurde nach vorn geschoben, und man wies ihn an, sich über das Radio zu beugen und so zu tun, als erklärte er es dem General.
    »Nicht so … Sie müssen uns das Gesicht zuwenden. Jawohl, lassen Sie uns jetzt noch die Knochen sehen, Sam, im Licht. So ist's schon besser.«
    In dieser Nacht wurde Changi von der dritten, letzten und schlimmsten Furcht heimgesucht, der Furcht vor dem Morgen.
    Ganz Changi wußte jetzt, daß der Krieg vorbei war. Der Zukunft mußte man ins Auge sehen. Der Zukunft außerhalb von Changi. Die Zukunft war jetzt. Jetzt.
    Und die Männer von Changi zogen sich in sich selbst zurück. Es gab keinen andern Ort, an den sie hätten flüchten
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