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Raststätte Mile 81

Raststätte Mile 81

Titel: Raststätte Mile 81
Autoren: Stephen King
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harmlos, aber er ist nicht wie alle anderen. Es ist, als ob er etwas wüsste. Ich glaube, das ist nur ein Zufall – weil er nicht weit von der Stelle entfernt sitzt, an der du rauskommen wirst –, aber ich wollte dich nur schon mal über ihn informieren.«
    »Also, sehr erfolgreich bist du damit nicht«, sagte ich. »Ich hab keine Scheißahnung, wovon du redest.«
    »Er wird sagen: ›Ich hab ’ne gelbe Karte vom Greenfront, also gib mir ’nen Dollar, denn heute ist Zwei-für-eins-Tag.‹ Hast du das?«
    »Ich hab’s.« Die Scheiße wurde immer tiefer.
    »Und er hat tatsächlich eine gelbe Karte in seinem Hutband stecken. Womöglich nur die Karte eines Taxiunternehmens oder vielleicht ein Coupon von Red & White, den er im Rinnstein gefunden hat, aber sein Hirn ist hinüber von reichlich billigem Wein, und er scheint die Karte für so was wie Willy Wonkas Golden Ticket zu halten. Deshalb sagst du: ›Ich hab keinen Dollar übrig, aber hier ist ein halber‹, und gibst ihm das Geldstück. Dann sagt er vielleicht …« Al hob einen jetzt knochendürren Finger. »Er sagt möglicherweise etwas wie: ›Wieso bist du hier?‹ oder ›Woher kommst du?‹ Er sagt vielleicht sogar etwas wie: ›Du bist nicht derselbe Kerl.‹ Das glaube ich zwar eher nicht, aber möglich ist es. Da gibt’s einiges, was ich nicht weiß. Unabhängig davon, was er sagt, lässt du ihn einfach am Trockenschuppen zurück – dort sitzt er nämlich – und gehst zum Tor hinaus. Wenn du gehst, ruft er dir wahrscheinlich nach: ›Ich weiß, dass du ’nen Dollar übrig hättest, du geiziger Drecksack!‹, aber du achtest nicht darauf. Siehst dich nicht um. Du überquerst die Bahngleise und bist an der Kreuzung von Main und Lisbon.« Er bedachte mich mit einem ironischen Lächeln. »Danach gehört die Welt dir, Kumpel.«
    »Trockenschuppen?« Ich meinte mich vage an etwas in der Nähe der Stelle zu erinnern, an der jetzt Al’s Diner stand, und vermutete, es könnte der alte Trockenschuppen von Worumbo gewesen sein, aber was immer einst dort gewesen war, jetzt war es nicht mehr da. Hätte der gemütliche kleine Vorratsraum des Aluminaire ein Fenster gehabt, hätte es nur auf einen mit Klinkersteinen gepflasterten Hof und einen Laden für Freizeitkleidung hinausgeführt, der Your Maine Snuggery hieß. Kurz nach Weihnachten hatte ich mir dort einen North-Face-Parka gegönnt, war ein echtes Schnäppchen gewesen.
    »Lass den Trockenschuppen, merk dir bloß, was ich gesagt habe. Dreh dich jetzt wieder um – so ist’s recht –, und mach zwei oder drei Schritte vorwärts. Kleine Schritte. Babyschritte. Stell dir vor, du wolltest bei völliger Dunkelheit die oberste Stufe einer Treppe finden – so vorsichtig.«
    Ich tat wie geheißen und kam mir dabei vor wie der größte Trottel der Welt. Ein Schritt … ich musste den Kopf einziehen, um nicht die Aluminiumdecke zu streifen … zweiter Schritt … jetzt tatsächlich schon leicht gebeugt. Noch ein paar Schritte, dann würde ich knien müssen. Das würde ich unter keinen Umständen tun, letzter Wunsch eines Sterbenden hin oder her.
    »Al, das ist idiotisch. Wenn ich dir keinen Karton Obstsalat oder ein paar dieser kleinen Geleeschalen holen soll, kann ich hier hinten nichts …«
    In diesem Augenblick ging mein rechter Fuß tiefer, als wäre ich dabei, eine Treppe hinabzusteigen. Nur stand er weiter fest auf dem grauen Linoleum. Ich konnte ihn sehen.
    »Jetzt geht’s los«, sagte Al. Seine Stimme klang nicht mehr rau, zumindest vorübergehend, sondern ganz sanft vor Befriedigung. »Du hast es gefunden, Kumpel.«
    Aber was hatte ich gefunden? Was genau erlebte ich gerade? Die Macht der Autosuggestion schien die plausibelste Antwort zu sein, denn unabhängig davon, was ich spürte, konnte ich weiter meinen Fuß auf dem Linoleum sehen. Abgesehen von …
    Sie wissen, wie man an einem sonnenhellen Tag die Augen schließen und ein Nachbild dessen sehen kann, was man gerade betrachtet? So war es auch hier. Wenn ich meinen Fuß ansah, sah ich ihn auf dem Linoleum stehen. Aber wenn ich blinzelte, sah ich meinen Fuß ganz kurz – eine Millisekunde bevor ich die Augen schloss, vielleicht auch eine Millisekunde danach, das konnte ich nicht sagen – auf einer hölzernen Treppenstufe. Und auch nicht im trüben Licht einer Fünfundzwanzigwattfunzel, sondern in hellem Sonnenschein.
    Ich erstarrte.
    »Weiter«, sagte Al. »Keine Angst, dir passiert nichts, Kumpel. Geh einfach weiter.« Er hustete bellend, dann sagte
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