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Raststätte Mile 81

Raststätte Mile 81

Titel: Raststätte Mile 81
Autoren: Stephen King
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behielt Mac Steadman, der den Fachbereich leitete, für sich –, aber sie schrieben wie kleine alte Männer und kleine alte Damen, immer mit gespitzten Lippen und ohhh, rutsch nicht auf dieser Glatteisstelle aus, Mildred. Dagegen hatte Harry Dunning trotz aller Rechtschreibfehler und seiner mühsamen Schreibweise wie ein Held geschrieben. Zumindest dieses eine Mal.
    Während ich über den Unterschied zwischen offensivem und defensivem Schreiben nachdachte, räusperte sich die Gegensprechanlage an der Wand. »Ist Mr. Epping im Lehrerzimmer im Westflügel? Sind Sie zufällig noch da, Jake?«
    Ich stand auf, drückte die Sprechtaste und sagte: »Noch da, Gloria. Als Buße für meine Sünden. Was kann ich für Sie tun?«
    »Sie haben einen Anruf. Ein gewisser Al Templeton. Wenn Sie wollen, kann ich ihn durchstellen. Oder ich kann sagen, dass Sie für heute gegangen sind.«
    Al Templeton, Eigentümer und Betreiber von Al’s Diner, in dem sich außer mir niemals jemand aus dem LHS -Lehrkörper blicken ließ. Sogar mein geschätzter Fachleiter – der wie ein Cambridge-Dozent zu reden versuchte und selbst kurz vor der Pensionierung stand – hatte Al’s Famous Fatburger, die Spezialität des Hauses, schon einmal als Al’s Famous Catburger bezeichnet.
    Nun, natürlich ist das nicht wirklich Katze, pflegten die Leute zu sagen, oder wahrscheinlich nicht Katze, aber es kann kein Rind sein, nicht für einen Dollar neunzehn.
    »Jake? Sind Sie mir eingeschlafen?«
    »Nein, bin hellwach.« Außerdem war ich neugierig, warum Al mich in der Schule anrief. Oder warum er mich überhaupt anrief. Unsere Beziehung war stets nur ein Koch-und-Gast-Verhältnis gewesen. Ich schätzte sein Essen, und er schätzte meine Kundschaft. »Schön, stellen Sie ihn durch.«
    »Warum sind Sie überhaupt noch da?«
    »Ich geißele mich.«
    »Oooh!«, sagte Gloria, und ich konnte mir vorstellen, wie sie mit ihren langen Wimpern klimperte. »Ich liebe es, wenn Sie schmutzige Sachen sagen. Bleiben Sie dran, und warten Sie auf das Klingelzeichen.«
    Die Sprechanlage knackte. Dann klingelte das Telefon der Nebenstelle, und ich nahm den Hörer ab.
    »Jake? Bist du das, Kumpel?«
    Im ersten Augenblick dachte ich, dass Gloria den Namen falsch verstanden haben musste. Diese Stimme konnte unmöglich Al gehören. Nicht einmal die schwerste Erkältung der Welt hätte ein solches Krächzen hervorbringen können.
    »Wer sind Sie?«
    »Al Templeton, hat sie dir das nicht gesagt? Himmel, diese Warteschleifenmusik ist echt Scheiße. Was ist nur aus Connie Francis geworden?« Er begann so bellend laut zu husten, dass ich den Hörer ein wenig vom Ohr weghalten musste.
    »Du klingst, als hättest du die Grippe.«
    Er lachte. Und er hustete weiter. Die Kombination aus beidem war ziemlich gruselig. »Ich hab was, das stimmt.«
    »Es muss dich von jetzt auf nachher erwischt haben.« Ich war erst gestern zu einem frühen Abendessen im Al’s gewesen. Ein Fatburger, Fritten und eine Erdbeermilch. Ich halte es für wichtig, dass man als Alleinstehender alle Hauptnahrungsgruppen berücksichtigt.
    »Könnte man so sagen. Oder man könnte sagen, dass es eine Zeit lang gedauert hat. Beides wäre richtig.«
    Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. In den sechs bis sieben Jahren, die ich nun bei ihm aß, hatte ich mich oft mit Al unterhalten, und er konnte seltsam sein – zum Beispiel bestand er darauf, die New England Patriots als Boston Patriots zu bezeichnen, und sprach über Ted Williams, als hätte er ihn wie einen Brother gekannt –, aber ein so verrücktes Gespräch hatte ich mit ihm noch nie geführt.
    »Jake, ich muss dich sprechen. Die Sache ist wichtig.«
    »Darf ich fragen …«
    »Ich rechne damit, dass du viel fragen wirst, und ich werde alles beantworten, aber nicht am Telefon.«
    Ich wusste nicht, wie viele Antworten er würde geben können, bevor seine Stimme versagte, aber ich versprach ihm, in ungefähr einer Stunde vorbeizukommen.
    »Danke. Lieber schon früher, wenn’s irgendwie geht. Die Zeit drängt, wie man so sagt.« Und damit legte er einfach auf, ohne sich auch nur zu verabschieden.
    Ich arbeitete zwei weitere Leistungskursaufsätze durch, danach waren nur noch vier übrig, aber es war zwecklos. Ich war aus dem Takt gekommen. Also packte ich den zusammengeschrumpften Stapel in meine Aktentasche und ging. Ich überlegte, ob ich ins Büro hinaufgehen und Gloria einen schönen Sommer wünschen sollte, ließ es aber doch bleiben. Sie würde noch
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