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rank und schlank und rattenscharf

rank und schlank und rattenscharf

Titel: rank und schlank und rattenscharf
Autoren: Burghard Pohl
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genauso und am liebsten würde ich auch abhauen. Aber wohin? — Immer noch kralle ich mich in ihrem nassen Fell fest. Ich muss versuchen, mich in dieser völligen Dunkelheit mit Hund und Rucksack im Zelt umzudrehen. Wenn der Reißverschluss vom Zelt zu ist, kann sie nicht weg. Also Hund festhalten und umdrehen.
    Meine dicken Wanderschuhe, der Rucksack, Kira, alles stört mich bei dieser fast unmöglichen Aktion, und meine 192 cm Körpergröße natürlich auch. Eine kaum zu lösende Aufgabe. Auf Biegen und Brechen gelingt es mir dann doch, mich in diesem Zeltschlauch umzudrehen und den Reißverschluss zu schließen. Das wäre geschafft.
    Ich höre Willis Stimme: „Burghard, ist bei Dir alles in Ordnung?“ — „Ja Willi, und bei Dir?“ — „Auch alles in Ordnung! Kira wollte aus dem Zelt abhauen, als der Blitz eingeschlagen ist. Ich habe sie gerade noch im Fell gepackt, sie wäre sonst abgehauen. Willi, ich bin falsch herum ins Zelt gekrochen, aber irgendwie habe ich es geschafft, mich umzudrehen.“
    Minuten später fängt es an zu hageln. Hagelkörner so groß wie Weintrauben schlagen unentwegt auf unsere Zelte ein. Es setzt ein gewaltiger, heulender Wind ein, der diesen Trommelwirbel aus Hagelkörnern mörderisch laut werden lässt. Mittlerweile ist es so laut, dass Willi und ich uns selbst durch Schreien nicht mehr verständigen können. Sein Zelt steht keine drei Meter von mir entfernt, aber wir hören uns nicht mehr. Die Hagelkörner treffen mit solch einer Wucht auf die Zelthaut — wenn ich die Zeltdecke berühre, bekomme ich einen Schlag nach dem anderen gegen den Kopf.
    Die Temperatur ist schlagartig gefallen. Vor wenigen Minuten war es noch sonnig und warm. Wir sind in T-Shirts gelaufen. Nun werden es wohl einige Grad unter Null sein, es ist eiskalt und ich schlottere. An meinen Schlafsack komme ich nicht heran. Er liegt unten im Rucksack, dort habe ich ihn gut verstaut. Ich fluche. So eine Scheiße. Ich binde die einfache Isomatte, die außen am Rucksack befestigt ist, los und versuche, sie unter mich zu schieben. Das geht in dieser Position gar nicht gut und sie ist völlig verknittert, als ich mich auf sie lege. Ich greife nach Kiras Decke, sie steckt außen im Rucksacknetz, und decke mich mit ihr zu. Kira ziehe ich dicht an mich, sodass wir uns gegenseitig wärmen können. So liegen wir pitschnass, zitternd, dicht aneinander gekauert im Zelt.
     
    Endlich lässt der Hagel nach und ich wundere mich, dass das Zelt heil geblieben ist. Diese mehrere Minuten andauernde Hagelattacke hatte es in sich und ich bin froh, dass die Zelthaut das ausgehalten hat. Mein lieber Mann, die Investition, sich ein High-Tech-Zelt zu kaufen, hat sich jetzt schon gelohnt. Ich höre draußen wieder normale Geräusche, das Hagelinferno ist vorbei. Willi ist aus seinem Zelt gekrochen und fragt: „Bei Euch alles OK?“ — „Alles OK.“ — „Das war ja was.“ — „Was machst Du denn da draußen?“ frage ich. — „Ich will mein Zelt drehen, wenn es noch windiger wird, fliegt es weg. „Hat bei Dir alles gehalten?“ — „Bis jetzt schon!“ — Ich krame nach meinem Fotoapparat und mache meine Zeltluke einen kleinen Spalt auf. Gerade nur soweit, dass ich ein Bild von diesen dicken Hagelkörnern machen kann. Das glaubt uns keiner, was wir hier gerade erlebt haben. Das war echt knapp. Wir sind froh, es überlebt zu haben.

    Ich versuche, aus dem Rucksack ein trocknes T-Shirt und meinen Schlafsack zu ziehen. Mit viel Anstrengung gelingt mir auch das. Willi hat inzwischen sein Zelt gedreht und ist wieder verschwunden. Noch bevor ich in den Schlafsack kriechen kann, beginnt draußen ein gewaltiger Sturm. Er kommt genauso unverhofft wie der Hagel und entwickelt sofort eine solche Intensität, dass mir Angst und Bange wird. Ohne lange Anlaufzeit legt er los und nimmt ständig an Kraft zu. Es ist ein Orkan, der noch einen größeren, ohrenbetäubenden Lärm erzeugt, als der gerade überstandene Hagelsturm. — Jetzt ist alles zu spät! Hier ist jeder auf sich allein gestellt. Keiner kann dem anderen mehr helfen. Wenn einer von uns über die Felskante fliegt, der andere merkt es nicht einmal.
    Wir müssen unsere Zeltplanen von innen krampfhaft festhalten. Ich rechne unser gemeinsames Gewicht zusammen und frage mich, ob der Sturm Kira und mich mit dem Zelt anheben kann. Alles hängt von diesen wenigen Heringen ab, die locker im felsigen Boden stecken. Werden sie wirklich halten? Sollten sie sich lösen, wird das Zelt sich
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